Der Begriff der Identität: Theoretische Grundlage

(von: Sara Rybakow)

„Identität kann nicht als fest stehender Begriff beschrieben werden, sondern ist in Relation zu den wissenschaftlichen Diskursen zu verstehen, vor deren Hintergrund Identitätskonzepte hergeleitet und diskutiert werden“ (Wegener 2010: 55). Hierzu lassen sich traditionelle Ansätze von neueren sozialpsychologischen Konzepten der Identität unterscheiden. Während klassische Theorien die Ich-Identität in den Mittelpunkt stellen, konzentrieren sich neuere Konzepte auf die Entwicklung von Identität in Auseinandersetzung mit der Umwelt (vgl. Bonfadelli/Bucher u.a.: 2008: 24). Weiterführende postmoderne Identitätskonzepte sehen die Auflösung traditionsbestimmter und kulturell vordefinierter Identitätsmuster begünstigt durch den tiefgreifenden Strukturwandel des letzten Jahrzehnts (vgl. a.a.O.: 26). Die folgende Ausführung skizziert kurz die verschiedenen Blickwinkel von Identität.

George Herbert Mead hat 1968 in der Tradition sozialwissenschaftlicher Theorien zur Identität das Verhältnis von Umwelt und Individuum fokussiert. Er versteht Identität als formale Handlungskompetenz: „Identität ist die im Sozialisationsprozess erworbene Fähigkeit, sich mit unterschiedlichen Erwartungen und Rollenanforderungen auseinanderzusetzen, auch wenn diese u.U. mehr oder weniger stark divergieren“ (a.a.O.: 25f.). Die Fähigkeit des Einzelnen zur Rollenübernahme ermöglicht es, sich in der Auseinandersetzung mit dem anderen über die Bedeutung signifikanter Symbole zu verständigen. Verständigung wird möglich, indem sich das Individuum in eine andere Rolle hineinversetzt und versucht, unterschiedliche Handlungen und Perspektiven nachzuvollziehen (vgl. Wegener 2010: 54). Obwohl Meads Annahme signifikanter Symbole heute in Frage gestellt wird, hat er trotzdem laut Wegener einen Ansatz entwickelt, der menschliches Handeln in einem gesellschaftlichen Kontext erklärt

(vgl. a.a.O.: 56).

Als Vertreter der klassischen psychoanalytisch geprägten Phasenmodelle kann Erik Erikson angeführt werden. Diese Modelle befassen sich mit dem Jugendalter als grundlegende Phase für die Entwicklung einer stabilen Identität und mit dem dafür vorausgesetzten erfolgreichen Abschluss der Adoleszenz (vgl. Bonfadelli/Bucher u.a.: 2008: 25). Laut Erikson durchläuft die Identität im Verlauf ihrer Entwicklung mehrere Krisenphasen, die als sogenannte „Entwicklungsaufgaben“ bewältigt werden müssen, um somit eine Garantie für die stabile Identität darzustellen (vgl. Wegener 2010: 56). Zusammenfassend für die Ausführungen Eriksons könnte Folgendes angeführt werden:

„Der Gedanke eines abgeschlossenen Prozesses der Identitätsbildung ist für Eriksons Ansatz somit ebenso zentral wie die Funktion lebenslanger und erstrebenswerter Leitbilder, die es in der Jugendphase zu finden gilt, um sich dann im weiteren Lebensverlauf an ihnen auszurichten.“ (ebd.)

Postmoderne Debatten im sozialpsychologischen Kontext gehen davon aus, dass sich die Identität des Individuums im Austausch mit seiner Umwelt, also der Gesellschaft, entwickelt (vgl. Wegener 2004: 25). Ferner beschreiben sozialpsychologische Ansätze Identitätsentwicklung als „(…) fortlaufenden, nie abgeschlossenen Prozess und sehen Identität damit als Weg und nicht als Ziel“ (Wegener 2010: 56). Damit könnte Identitätsarbeit als lebenslanger Prozess gesehen werden, der heranwachsende Jugendliche ebenso betrifft wie die Generation der Eltern oder Großeltern. Als zentraler Vertreter kann hier entsprechend auf Heiner Keupp verwiesen werden, der sich von der Idee ablöst, dass Identität eine fortschreitende und abschließbare Kapitelbildung darstellt, und die Konstruktion von Identität auch schlicht als „Projektentwurf des eigenen Lebens“ (Keupp 1999: 30; zit. nach Wegener 2004: 21) versteht. Die Identität muss aufgrund der heutigen Gesellschaft, „(…) die die stetige Reflexion des eigenen Standpunktes und fortwährende Neuorientierung verlangt (…)“ (Wegener 2010: 57), als ein permanenter und nie endender Prozess begriffen werden.

Abschließend sei noch der soziale Konstruktivismus zu nennen. Die Idee eines „Kerns“ von Identität wird hierbei von deren Vertretern verworfen und das Subjekt wird ausschließlich in Form eines Nebeneinanders unzusammenhängender Beziehungen konstruiert (vgl. ebd.). Damit wird das Individuum nach Kenneth Gergen „ (…) mit einer Vielzahl unzusammenhängender und beziehungsloser Stimmen konfrontiert, die stets anbieten, in Frage stellen, reflektieren und dem Selbst höchst differente Rollen zuweisen“ (ebd.). Diese Stimmen stellen die immer größere Anzahl von Personen dar, mit denen das Individuum Beziehungen eingeht. Diese Beziehungen können direkte bzw. indirekte Kontakte sein, die durch die neuen Kommunikationsmedien vermittelt werden. Der Einzelne wird nicht mehr in der Lage sein, sich selber zu positionieren, da er eine nicht mehr überschaubare Anzahl an Beziehungen hat (vgl. ebd.). Dieser Zustand wird von Gergen als sogenannte „Gesellschaftliche Sättigung“ beschrieben (ebd.). Ebenso verweist Gergen in diesem Kontext auf die immense Rolle der Massenmedien und hier vor allem auf die aus den Massenmedien resultierenden Medienbeziehungen, die das Beziehungsgeflecht des Einzelnen nochmals dramatisch vergrößern. Wegener fasst Gergens Lösung für das Problem des authentischen Selbst folgendermaßen zusammen:

„Die Lösung des Identitätsproblems kann nach Gergen nur darin bestehen, die Idee von einem identifizierbaren Selbst gänzlich aufzugeben, diesen ausschließlich im Moment der Bezogenheit zu betrachten und die Teilung des Selbst in Multipheren als normalen Zustand zu begreifen“ (ebd.).

Als Fazit ist zu sagen, dass die Identitätsbeschreibungen zwei Grundbemühungen des Individuums enthält, nämlich zum einen die Bemühungen, sich selbst zu erkennen und zum anderen das Bestreben, sich selbst zu gestalten, an sich zu arbeiten und sich zu formen. Demnach sind Selbsterkenntnis und Selbstgestaltung die zwei Prozesse, die Identitätsentwicklung vorantreiben (vgl. Oerter/Montada 2002: 304).


Literatur:

Bonfadelli, Heinz/Bucher, Priska/Hametseder, Christa/Hermann, Thomas/Ideli, Mustafa/Moder, Heinz (2008): Jugend, Medien und Migration. Empirische Ergebnisse und Perspektiven. Wiesbaden: VS.

Wegener, Claudia (2010): Identität. In: Vollbrecht, Ralf/Wegener, Claudia (Hg.): Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden: VS, 55-63.

Wegener, Claudia (2004): Identitätskonstruktion durch Vorbilder. Über Prozesse der Selektion, Aneignung, und Interpretation medialer Bezugspersonen. In: merz – medien + erziehung 48, Nr. 6, 20-31.

Oerter, Rolf/Montada, Leo (2002): Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinheim: Beltz.

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