Cyborg

Erstmals taucht der Begriff des Cyborg 1960 in dem Aufsatz „Der Cyborg und der Weltraum“ des Psychologen Nathan S. Kline und des Biophysikers Manfred E. Clynes auf. Als Ableitung aus dem Ausdruck Cybernetic Organismn erscheint der Begriff damit zunächst im militärisch-strategischen Kontext der US-amerikanischen Raumfahrt.[1] Ausgangspunkt der Überlegungen von Clynes und Kline ist es eine Anpassung des menschlichen Körpers an eine veränderte Umwelt (die Weltraumumgebung) „durch geeignete biochemische, physiologische und elektronische Modifikationen des bestehenden menschlichen Modus Vivendi zu erreichen“ (Clynes/Kline 2007: 467, Hervorhebung i. O.). Initiiert durch diesen Antriebsmoment wird die Idee eines sich selbst regulierenden Mensch-Maschine-Systems entwickelt, welches ohne die Unterstützung des Bewusstseins funktionieren kann. „Für den exogen erweiterten organisatorischen Komplex, der unbewusst als integriertes homöostatisches System funktioniert, schlagen wir den Begriff »Cyborg« vor“ (ebd.: 469). Clynes und Kline definieren den Sinn und Zweck des Cyborg als Bereitstellung eines Organisationssystems, mittels dessen „roboterhafte, technische Probleme automatisch und unbewusst geregelt werden, so dass dem Menschen die Freiheit gegeben wird zu forschen, schöpferisch tätig zu sein, zu denken und zu fühlen“ (ebd.). Einerseits deutet sich hiermit an, dass ein gesteigerter Einfluss der Technik durch deren potentiell entlastende und vielleicht befreiende Wirkung legitimiert werden kann. Andererseits wird der damit einhergehende Kontrollverlust ebenso deutlich. An Stelle einer steuerbaren und verantwortungsvollen Lösung von Problemen sollen diese durch ein Mensch-Maschine-Hybrid zu erledigen sein. Damit hält Standardisierung und Automatik Einzug in den Umgang mit Problemen, was eine (selbst)reflexive Herangehensweise möglicherweise verhindert.

Der Rückbezug zur Verwendung des Cyborgbegriffs bei Clynes und Kline verdeutlicht die Verortung in einem kybernetischen Kontext, der wesentlich durch die Auseinandersetzung mit einer Transformation des Humanen, respektive von Hybridformen zwischen Organischem und Technischem zu kennzeichnen ist. In Rückbezug auf den Ursprungsort, dem militärisch strategischen Feld, wird der Anknüpfungspunkt technikpessimistischer Positionen deutlich. Einhergehend mit der Gefahr der Beherrschung und Unterdrückung des „Anderen“ (vorrangig der Natur) ist der Cyborg Ausdruck einer vielleicht unkontrollierbaren in jedem Falle aber machtvollen Technik. Problematisch ist dies dann, wenn davon ausgegangen wird, dass die machtvolle Technik Instrument der herrschenden Klasse und des unterdrückenden Systems ist.

Haraways Resiginifikation der Cyborg[2] in ihrem 1985 erschienen Essay „Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften“ verdeutlicht hingegen die Vorstellung, dass keine kausale Wirkungsrichtung der Handlungsfähigkeit der Objekte, hier eben in Form der Technik, determiniert ist. Vielmehr eröffnet gerade der instrumentelle Charakter der Dinge die Möglichkeit einer verändernden Aneignung. Haraway analysiert die Verortung der Cyborgs im dominant strukturierten Umfeld als Möglichkeitsbedingung für die Konstruktion einer widerständigen Politik (vgl. Haraway 2007: 241). Der Kontext in dem Haraway ihr Konzept der Cyborg diskutiert ist der Bezug zu verschiedenen feministischen Ansätzen, wobei die Cyborg letztlich als Figur der Erlangung von verantwortungsvoller Handlungsfähigkeit verstanden werden kann. In ihrem Essay verweist Haraway auf grundlegende Herausforderungen und Probleme mit denen sich kritische, feministische Ansätze konfrontiert sehen. Beispielsweise würden sowohl „sozialistischer“ als auch „radikaler“ Feminismus auf vereinnahmenden Erklärungszusammenhängen gründen und damit Diversifizierungen oder andere Unterdrückungsdimensionen verschweigen (vgl. ebd.: 248ff.). So zeige die Fragmentierung in Folge einer notwendigen Kritik an universalisierenden und dadurch vereinnahmenden Tendenzen des „westlichen“, „weißen“ Feminismus, dass das Konzept „Frau“, also die identitätsbasierte Konstruktion eines politischen Subjekts, unmöglich geworden ist. Haraway schlussfolgert aus diesen Problematisierungen die Notwendigkeit einer modifizierten widerständigen Politikform, die jedoch nicht auf einer zynischen Resignation sondern auf verantwortungsbewusster Handlungsfähigkeit basiert. „Welche Art von Politik könnte partielle, widersprüchliche, dauerhaft unabgeschlossene, persönliche und kollektive Selbst-Konstruktionen einschließen und dennoch verbindlich, wirksam – und ironischerweise sozialistisch-feministisch sein?“ (ebd.: 249). Die grenzüberschreitenden und hybridisierenden Eigenschaften der Cyborg sind hier eine mögliche Antwort. In Bezug auf das Problem der illegitimen Identitätskonstruktion feministischer Ansätze kann die Cyborg als Geschöpf einer post-gender-Welt ein Symbol der notwendigen Entnaturalisierung sein. Haraways Cyborg verweigert „den Naturzustand im westlichen Sinn“ (ebd.: 240) und wird damit zur Projektionsfläche, respektive möglicher Verkörperung utopischer Konzeptionen.

Diese Überlegungen verweisen auf Haraways Idee der Cyborg als „imaginäre Figur“ (ebd.: 239), wohingegen ebenso die Dimension der Cyborg als „gelebte Erfahrung“ (ebd.) fokussiert werden kann. Die gelebte Erfahrung zeichnet sich bei ihr wesentlich durch die „Informatik der Herrschaft“ und durch „Hausarbeitsökonomie“ aus. Ausgehend von der These, dass der Bezug zu Veränderungen durch Wissenschaft und Technologie deshalb von Bedeutung ist, da die gesellschaftlichen Verhältnisse dadurch transformiert werden (vgl. ebd.: 253), analysiert Haraway Kennzeichen dieser Modifikationen. Vorwiegend in Rückbezug auf Kommunikationswissenschaften und moderne Biologie werden Umformungen diskutiert, die auf die „Übersetzung der Welt in ein Codierungsproblem“ (ebd.: 257, Hervorhebung i. O.) hindeuten. Es wird also von einer gesellschaftlichen Veränderung ausgegangen, die auch mit modifizierten Kontrollstrategien einhergeht und somit ebenso neue Formen des Widerstands fordert. Die entsprechende internationale Organisationsstruktur des Kapitalismus bezeichnet Haraway als Hausarbeitsökonomie, welche als Feminisierung der Arbeit im Sinne einer Zunahme von prekären Verhältnissen konkretisiert werden kann. Das grundlegende Anliegen bezieht sich nun darauf, eine geeignete Strategie der Handlungsfähigkeit in diesen transformierten Verhältnissen zu erlangen. Es geht um die Notwendigkeit einer feministischen Position zu, respektive einer feministischen Aneignung von Technik- und Wissenschaftsverhältnissen. Dabei erscheint die Cyborg als „Mythos politischer Identität“ (vgl. ebd.: 266ff.). Auch hier ist der Anknüpfungspunkt die grundlegende Möglichkeit der Grenzüberschreitung durch die Cyborg. Haraway verdeutlicht die Nutzbarmachung der Cyborg-Metapher in Rückbezug auf „Konstruktionen der Women of Color und […] monströse Selbstkonstruktionen der feministischen Science Fiction“ (ebd.: 268, Hervorhebung i. O.). Dabei wird einerseits wieder die Möglichkeit einer antiessentialistischen Positionierung deutlich, insofern die Cyborg als Negation einer Identitätspolitik für Handlungsfähigkeit als Folge einer Verschmelzung marginalisierter Identitäten zu denken ist (vgl. ebd.). Andererseits eröffnet beispielsweise die Praktik des Schreibens, also die Konstruktion von Erzählungen, die Möglichkeit einer Neucodierung, die quasi als sabotierendes Element die dominanten Erzählmuster untergraben kann. In feministischer Science Fiction wird dies durch das Cyborg-Monster als Negation einer dualistischen Identifikationsmöglichkeit von „männlich“ oder „weiblich“ deutlich.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Haraways Überlegungen auf einem Verständnis basieren, nachdem die technologische Entwicklung durchaus wesentlich zur Modifikation von Gesellschaft beiträgt. Jedoch ist auch zu analysieren, dass Haraway die Vorstellung eines technischen Determinismus und auch technikpessimistische Positionen mit der Möglichkeit der strategischen Nutzbarmachung konfrontieren und damit kritisiert. Die Umstrukturierung der Gesellschaft ist als historisches System zu verstehen (vgl. ebd.: 259), welchem kein überzeitlicher, determinierter Charakter inhärent ist. Haraway betont ebenso, dass „Wissenschaft und Technologie neue Quellen der Macht darstellen“ (ebd.) und eröffnet somit den Möglichkeitsraum der Aneignung. Somit erscheint die Technik auch nicht als Verursacherin des Systems der Hausarbeitsökonomie, sondern ist eher als Möglichkeitsbedingung zur Modifikation dieser spezifischen Ausformung des Kapitalismus anzusehen (vgl. ebd.: 260). Die Herausforderung besteht nun darin Verantwortung für entsprechende Nutzbarmachungen zu übernehmen und das unterdrückende System auf Basis der Aneignung der technologischen und wissenschaftlichen Verhältnisse zu bekämpfen. Damit korrespondiert Haraways Verständnis mit einer Vorstellung, nach der die Technologie an sich nicht negativ sein kann, da die Verantwortung letztlich beim Subjekt und nicht beim Objekt liegt. „Wir können für Maschinen verantwortlich sein; sie beherrschen oder bedrohen und nicht“ (ebd.: 274, Hervorhebung i. O.). Die Negation eines Technikdeterminismus geht ebenso einher mit der Negation einer determinierten Wirkungsrichtung der entsprechend verwendeten Technik und eben auch mit Überlegungen zur prinzipiellen Neutralität der Objekte. „Es geht gerade nicht darum, Wissenschaft und Technologie entweder nur als mögliche Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse oder aber nur als Matrix komplexer Herrschaftsverhältnisse zu begreifen“ (ebd.: 276).

Entscheidend ist es damit, die jeweilige Verwendung auf ihre ideologische Funktion hin zu untersuchen. Die grundlegende Möglichkeit Objekte als Instrumente einzusetzen erfordert den Versuch der Rekonstruktion der ideologischen Aufgeladenheit der Objekte und von deren instrumentellen Charakter. Es muss darum gehen, entsprechende Zuschreibungen zu rekonstruieren statt davon auszugehen, dass eine bestimmte Form (eine bestimmte Technik) einen determinierten Inhalt übermitteln würde. Die Dynamik der Technik ergibt sich erst als Folge der entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnisse und nicht als determinierte Struktur selbst. Haraway analysiert Kommunikations- und Biotechnologien, die in ihrer Analyse wesentliche Träger und Vermittler der gesellschaftlichen Veränderungen sind, als Mythos und Werkzeug (vgl. ebd.: 256f.). Damit wird deutlich, inwiefern ein Objekt zum Instrument eines Konzepts wird, beispielsweise in Gestalt von Haraways Resignifikation des Cyborg-Begriffs.

rebecca

Literatur:

· Clynes, Manfred/Kline, Nathan S. (2007): Der Cyborg und der Weltraum (1960). In: Bruns, Karin/Reichert Ramón (Hrsg.): Reader Neue Medien. Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation. Bielefeld: transcript, 467-475.

· Haraway, Donna (2007): Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften (1985). In: Bruns, Karin/Reichert Ramón (Hrsg.): Reader Neue Medien. Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation. Bielefeld: transcript, 238-277.



[1] Der Aufsatz basiert auf einer von der NASA in Auftrag gegebenen Studie.

[2] Diese sprachliche Veränderung, den vormals im grammatikalisch männlichen Geschlecht gesetzten Begriff nun mit dem weiblichen Artikel zu versehen, steht auch für die inhaltliche Umdeutung, also die feministische Nutzbarmachung und Aneignung.

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