Privat / Öffentlich

In den vergangenen Jahren ist das Internet nicht nur als Informationsmedium unersetzbar geworden, es hat sich außerdem zum wichtigsten Instrument der Kommunikation und des Networkings der heutigen Zeit und der Zukunft entwickelt. StudiVZ, Facebook, MySpace – wie niemals zuvor stellt die Web 2.0-Generation bereitwillig ihr Privatleben der Öffentlichkeit zur Schau.
Harvard-Forscher Nicholas Christakis spricht in einem Interview mit Spiegel Online vom 14. Mai 2008 über den Umbruch der Vorstellungen von Privatsphäre und die Frage ob eine Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit überhaupt noch existent sei. Dabei vergleicht er die virtuelle Selbstdarstellung mit einem realen Gang durch öffentliche Straßen.
Die oben genannten Internetplattformen bieten dem Nutzer eine frei gestaltbare Form der Präsentation des eigenen Lebens. Beginnend mit dem schlichten Lebenslauf, werden immer tiefere und intimere Einblicke in das Privatleben gewährt. Indem Fotos eingestellt werden oder Gruppen beigetreten wird, die nicht nur Auskunft über Hobbies oder Musikgeschmack geben, sondern zum Beispiel auch über die Freude an exzessivem Alkoholkonsum oder sexuelle Vorlieben, werden Bereiche öffentlich gemacht, die in der Realität engeren Freunden oder Bekannten vorbehalten bleiben. Über die öffentlichen Gästebücher, die in jedem Profil zu finden sind, lassen sich ganze Unterhaltungen, Flirts oder auch Streitigkeiten mitverfolgen. Es scheint keine Information mehr zu geben, die als zu intim erscheint um sie fremden Menschen zu präsentieren. Letztendlich bleibt es jedoch dem Nutzer überlassen, wie viel er über sich preisgeben will und natürlich auch welche Informationen der Wahrheit entsprechen oder inwieweit nur eine Scheinidentität erschaffen wird. So lassen sich auch detaillierte Einstellungen darüber vornehmen, welche Bereiche für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich sein sollen und welche Informationen nur ausgewählten Personenkreisen verfügbar gemacht werden. Es wird dem Nutzer also ein gewisses Kontrollrecht zugesprochen. In der Realität sind die Möglichkeiten eingeschränkt, frei zu entscheiden, von wem man gesehen werden möchte und von wem nicht. So erklärt Christakis man könne nicht erwarten, „…dass Menschen einen nicht anschauen – das wäre unangemessen“. Anders als in der virtuellen Welt wird in der Realität jedoch nicht so verschwenderisch mit privaten Informationen umgegangen. Und doch gibt es bezüglich der Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit eine Gemeinsamkeit die die beiden Welten, die virtuelle und die reale Welt, miteinander verbindet. Man kann auf der Straße zwar nicht von den Menschen fordern nicht angeschaut zu werden, jedoch kann man, so Christakis, erwarten, dass man nicht von ihnen belästigt werde. Ähnlich wird es in der virtuellen Umgebung empfunden. Die Betrachtung des eigenen Profils, wird in Kauf genommen und sogar gewünscht, anders hält es sich mit Einträgen im Gästebuch, Kommentaren zu Fotos oder privaten Nachrichten von Fremden. Nur selten werden diese Kontaktaufnahmen als angenehm empfunden. Vielmehr stellt sich hier das Gefühl einer verletzten Privatsphäre ein, welche es also tatsächlich noch gibt. Die Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit wird deutlich: Anschauen ist erlaubt, denn hier bleibt die Kontrolle beim Nutzer, die Annäherung fremder Personen durch Nachrichten oder Kommentare geht jedoch für die meisten einen Schritt zu weit.
Letztlich ist es ja so, dass das Profil in gewisser Weise eine Selbstinszenierung darstellt und eher ein Abbild dessen ist, wie man von anderen gesehen werden möchte als ein Spiegel des tatsächlichen Charakters. Solange dieses Profil also angeschaut wird, ist das gewünschte Bild, das andere über einen haben sollen, gewahrt. Bei einer direkten Kontaktaufnahme kann nun aber nicht das konstruierte Traum-Ich antworten sondern das reale Ich müsste diese Aufgabe übernehmen. So bestünde die Gefahr, dass das sorgsam aufgebaute Ich-Konstrukt ins Wanken gerät und an dieser Stelle setzt nun doch noch das Bedürfnis ein, die Intimität zu wahren, das inszenierte Bild aufrecht zu erhalten und so die reale Privatsphäre zu schützen.
Mit der Web 2.0-Generation geht also eine Veränderung der Vorstellung von Privatsphäre einher. Intim und privat bedeutet nicht mehr, nichts über sich preiszugeben, sondern die Kontrolle darüber zu bewahren, selbst zu entscheiden wie viel und was andere Menschen über das eigene Leben erfahren dürfen und sollen. Und so stellt auch die Inszenierung der eigenen Persönlichkeit gegenüber Fremden vielmehr eine Schutzfunktion dar als eine tatsächliche Selbstentblößung.

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