Das Internet zwischen Freiheit und Zensur

In der öffentlichen Diskussion um das Internet wird das 21. Jahrhundert derzeit gerne als „Informationszeitalter“ und „Kommunikationszeitalter“ bezeichnet. Doch welche Phänomene verbergen sich hinter diesen Begriffen, die vermutlich aus der allgemeinen „Institutionalisierungs- und Kategorisierungswut“ heraus entstanden sind? Schauen wir hierzu einmal exemplarisch die Berichterstattung über die Proteste in Tunesien an. Welche Rolle wird dem Internet im Allgemeinen und sozialen Plattformen wie z.B. Facebook und Twitter in diesem Kontext zugeschrieben?
Es ist der 15. Januar 2011, unter der Rubrik „Internet“ lassen sich heute in der Online-ZEIT drei Hauptthemen finden: Die Proteste in Tunesien, der Wertanstieg von Facebook – dessen Wert laut der New York Times auf 50 Milliarden US-Dollar geschätzt wird und damit wertvoller als e-bay und yahoo ist - sowie das zehn-jährige Jubiläum von Wikipedia.
Bemerkenswert ist hierbei zunächst einmal, dass mittlerweile die meisten größeren Zeitungen über eine Rubrik „Internet“ verfügen. Viele, zum Beispiel die österreichische Zeitung „der Standart“, führen sogar Unterkategorien wie beispielsweise „Netzpolitik“ auf. Wie wichtig diese inzwischen ist, lässt sich am Fall Tunesiens aufzeigen. Zu beachten sei auch, dass sich die Proteste in Tunesien unter der Rubrik „Internet“ finden lassen und nicht etwa unter der Sparte „Politik“.
Schon 2005 stuften „Reporter ohne Grenzen“ Tunesien auf ihrer jährlichen veröffentlichten Liste der Pressefreiheit auf Rang 147 von 167 Rängen ein. Außerdem tauchte Tunesien auch 2005 schon auf der Liste der Staaten auf, die Journalisten zu Unrecht inhaftiert hielten. Trotzdem fand im November 2005 in Tunis das zweite Treffen des „Weltgipfels über die Informationsgesellschaft“, der von der UN agency ITU, „agency for information and communication technologies” organisiert wurde, statt. Damit büßten der Gipfel und somit auch die UN eindeutig an Glaubwürdigkeit ein. Wieso suchte die UN gerade Tunesien für diese Konferenz aus? Schon damals saßen „in den tunesischen Knästen Menschen [ein], weil sie im Web ihrer Meinung freien Ausdruck gaben“, so berichtet der Spiegel 2005. Der Gipfel setzte sich damals die Überwindung der digitalen Spaltung zwischen den so genannten Industrieländern und den so genannten Schwellen- und Entwicklungsländern zum Ziel. Mit dieser Überwindung war der Ausbau von Hochgeschwindigkeits-Datennetzen in den letztgenannten Ländern gemeint. Nebenbei bemerkt ist dies sicherlich eine extrem wünschenswerte Entwicklung. Die Annahme, der technologische Fortschritt würde mit einer Demokratisierung korrelieren, ist jedoch schlichtweg naiv.
Zum Auftakt des Gipfels rief der seit 1987 amtierende Präsident Zine al-Abidine Ben Ali zur „gerechten“ und „solidarischen“ Informationsgesellschaft auf. Wie wenig er tatsächlich an einer solchen Gesellschaft interessiert gewesen ist, zeigt seine Medienpolitik. Dem Wissenschaftler Evgeny Morozov zufolge war Ben Alis Regierung „eine der raffiniertesten Zensoren des Internets überhaupt - direkt nach Iran und China vielleicht“. Dies zeigt auch die Tatsache, dass bereits seit mindestens sechs Jahren Oppositionelle auf Grund von Meinungsäußerungen im Netz verhaftet wurden.
Schon damals war demnach in Tunesien ersichtlich welche Vor- und Nachteile das Internet für die freie Meinungsäußerung haben kann. So kann durch das Internet beispielsweise die Organisation von Demonstrationen und die Publikmache politischer Ereignisse über die Landesgrenzen hinweg erleichtert werden. Laut der Organisation Human Rights Watch ermöglicht das Internet "[i]n Ländern, in denen die Regierung die Presse kontrolliert, […] Meinungs- und Kommunikationsfreiheit". Annahmen wie diese müssen jedoch mehr und mehr revidiert werden, da Diktatoren nämlich sehr wohl in der Lage sind das Internet zu überwachen. Bei einem Scheitern einer Protestbewegung können die Daten in den sozialen Netzwerken zum üblen Verhängnis Oppositioneller werden. Ein Aufruf Netzaktivitäten einzustellen, soll dies natürlich trotzdem nicht sein.
In Tunesien gelang es nach starken Protesten der Bloggercommunity im Jahre 2008 die Blockaden, wie die von Facebook aufzuheben und auch in den letzten Wochen wurden Facebook und diverse blogs erneut von der tunesischen Regierung zensiert. Am 15. Januar berichtet die taz, dass der Ex-Diktator Tunesiens Ben Ali nach Saudi-Arabien geflohen sei. „Seit Wochen protestieren meist junge Tunesier gegen schlechte Lebensverhältnisse, gegen Arbeitslosigkeit und hohe Lebensmittelpreise“, so die ZEIT. Die Blockade von sozialen Netzwerken wurde kurz vor seiner Flucht wieder aufgehoben. Dem „Standart“ zufolge „[wurde] der Kampf gegen das tunesische Regime nicht nur auf der Straße sondern auch im Cyberspace geführt“. Und Jungle-World schreibt: „Ohne das Internet wäre eine Protestbewegung eines solchen Ausmaßes nicht möglich“. Ganz ohne Druck funktionierte die erneute Freigabe der Netzwerke nicht. Dem Standart und weird zufolge habe die lose Gruppierung Anonymous die Netzwerke der tunesischen Regierung attackiert, nachdem diese auch Wiki-Leaks gesperrt hatten. Anonymous zufolge gibt es circa 50 Internet – Aktivisten in Tunesien. Nun berichten vor allem in den USA, aber auch hier im Lande manche Zeitungen von einer „Twitter-Revolution“, „Facebook-Revolution“ oder „Wiki-Leaks-Revolution“. Doch wenn irgendeinem Internetphänomen im Zusammenhang mit den Protesten in Tunesien revolutionäre Kraft zugeschrieben werden kann, dann wohl höchstens Anonymous. Vielleicht waren gerade die Attacken dieser anonymen Hacker der rettende Akt für den erneuten Zugang zu sozialen Netzwerken in Tunesien. Die Nutzung dieser Netzwerke trug zum Erfolg der Proteste bei. In welchem Maße bleibt zu fragen übrig. Das Potential der sozialen Medien sollte jedoch nicht überzeichnet werden. „Die Proteste hätte es auch ohne Twitter und Facebook und andere soziale Netzwerke gegeben“, so Evgeny Morozov. Evgeny Morozov vermutet vielmehr, dass das Internet als Erklärung für die Proteste eine Art „Standartreaktion“ des Westens sei, „statt politische oder soziale Erklärungen für die Proteste zu suchen“. Dafür spricht auch die Zuordnung der Proteste in Tunesien unter das Thema „Internet“. Das Internet als Kommunikationsmedium ermöglicht vielmehr neue Möglichkeiten des Ideenaustausches und eröffnet somit auch neue Wege für die politische Organisation.
Bloggerinnen Lina Ben Mhenni (27) berichtet im Interview mit der taz von ihren Erfahrungen. In der neuen Übergangsregierung von Tunesien sitzt Slim Amamou (Slim404), einer ihrer Bloggerkollegen, mit dem zusammen sie die Antizensurdemonstration vorbereitet hat. Lina Ben Mhennni sagt dazu: „Sie haben scheinbar verstanden, dass die Blogger sehr wichtig sind in unserer Gesellschaft. Slim404 twittert sogar aus den Kabinettssitzungen. Ich weiß nicht, ob das legal ist, und wie lange das noch gut geht. Aber im Augenblick kann man tatsächlich die Regierungssitzungen live im Twitter verfolgen.“ Lina Ben Mhennni und Slim Amamou scheinen also durchaus überzeugt von ihren Aktivitäten zu sein. Es sind aber eben genau diese Aktivitäten und nicht die sozialen Netzwerke selbst, die so kraftvoll sind. Es gibt genügend Nutzer, die diese Netzwerke keineswegs für politische Aktivitäten nutzen. Die Plattformen wie Facebook und Twitter sind neue Möglichkeiten zur Distribution von Informationen. Nicht mehr und nicht weniger.
Der Wertanstieg von Facebook und der geplante Börsengang zeigen wie wertvoll der Zugang zu diesen Informationen für bestimmte Regierungen und Firmen ist. Dies belegen auch die Anfragen der US-Regierung an Twitter: Twitter solle die Daten von Weaki-Leaks-Unterstützern herausgeben. Auch Facebook ist vermutlich nicht ganz uninteressant für die US-Regierung. Mit diesen Anfragen und ihrer Kritik an den Cablegate-Veröffentlichungen hat sich die US-Regierung ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Kritik an Internetzensur verspielt. Evgeny Morozov weist darauf hin, dass „[i]n vielen Ländern […] eine Regierung bei einer Internetfirma anrufen und sie zwingen [kann], Inhalte von ihren Servern zu nehmen, nur weil sie ihnen nicht gefallen. Das ist eine Situation, die man vielleicht nicht gerade schaffen will. Denn wenn der Inhalt illegal ist, dann muss das vor Gericht verhandelt werden, um eine faire und verantwortungsbewusste Entscheidung zu bekommen. Aber so etwas darf nicht auf politischen Druck passieren.“
Mit Bezug auf Tunesien lässt sich zunächst festhalten: Ja, die Internetcommunity konnte zum Sturz Zine al-Abidine Ben Alis beitragen. Doch, dies sollte nicht der eigentliche Kern der Debatte sein. Was Tunesien angeht, so sollten die sozialen und politischen Gründe für die Entwicklung gesucht werden.
Und ansonsten? Haltet zusammen liebe Anhänger der Meinungsfreiheit im Internet. Denn selbst in den Demokratien ist die Freiheit im Internet derzeit in Gefahr. Schließlich scheint das Geschäft mit persönlichen Daten beispielsweise nicht unerheblich zu florieren. Was Anonymous angeht, so bleibt zu hoffen übrig, dass ihre Attacken auf Mastercard und Amazon nur kleine Demonstrationen ihrer Möglichkeiten waren. Andererseits könnte das gleiche Können von Hackern auf Seiten autoritärer Mächte wirken. Womit deutlich wird, dass die großen technischen Wunder unseres „Informations- und Kommunikationszeitalter“ noch lange keine politischen Wunder mit sich bringen. Vielmehr lässt sich ihre Wirkung auf eine teilweise Verschiebung der Kämpfe reduzieren. Das politische und ökonomische System wurde damit noch lange nicht geändert. Ob gewisse Strukturen im Internet langfristig eine gesellschaftliche Umwälzung begünstigen können, ist vermutlich davon abhängig, wie die Kämpfe um die Verteilung der Macht im Internet ausgehen und ob das Gro der Internetnutzer tatsächlich bereit ist sich für politische Themen einzusetzen. Dass die Kämpfe um die Freiheit im Internet nicht leicht sein werden, zeigt auch die These Michael Schefczyks, wonach die Rechte an Immaterialgütern zum neuen kapitalistischen Operationsgebiet gehören.




Linkliste

http://derstandard.at/1293370750565/Twitter-zwingt-Tunesiens-Praesident-zur-Flucht, 15.1.2011.

http://www.reporter-ohne-grenzen.de/ranglisten/rangliste-2005/rangliste-2005.html, 15.1.2011.

http://www.reporter-ohne-grenzen.de/ranglisten/die-neue-rangliste-2010.html, 15.1.2011.

http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/gespannte-ruhe-in-tunesien/, 15.1.2011.

http://www.wired.com/threatlevel/2011/01/tunisia/2/, 15.1.2011.

http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,385308,00.html, 15.1.2011.

http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/das-internet-hat-das-moeglich-gemacht/, 15.1.2011.

http://www.itu.int/en/pages/default.aspx, 15.1.2011.

http://www.un.org/en/, 15.1.2011.

http://www.itu.int/wsis/basic/about.html, 15.1.2011.

http://www.un.org/depts/german/conf/wsis-05-tunis-doc-6rev1.pdf, 15.1.2011.

http://www.bbc.co.uk/blogs/technology/2009/06/irans_internet_dilemma.html, 15.1.2011.

http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/01/15/International/Tunesischer-Aufstand-als-Vorbild-fuer-Nachbarlaender, 15.1.2011.

http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/01/15/International/Tunesien-zwischen-Twitter-Revolution-und-Medienzensur, 15.1.2011.

http://jungle-world.com/artikel/2011/02/42403.html, 15.1.2011.

http://derstandard.at/1293370238824/Wikileaks-US-Regierung-fordert-User-Daten-von-Twitter, 18.1.2011.

http://www.taz.de/1/netz/netzpolitik/artikel/1/wir-werden-die-zukunftsdebatte-fuehren/, 22.1.2011.

http://www.taz.de/1/leben/taz-medienkongress-2011/artikel/1/das-internet-wird-ueberschaetzt-1/, 26.1.2011.



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