Virus



Der Begriff Virus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie „Gift“ oder „Schleim“- sein Name ist Programm.
Ende des 19. Jahrhunderts war es Naturwissenschaftlern klar geworden, dass es infektiöse Mikroorganismen gibt, die lichtmikroskopisch nicht sichtbar waren und Bakterienfilter passieren konnten.
Es wurde erkannt, dass Viren einen Wirtskörper benötigen, um sich zu vermehren und diesen dabei letztendlich umzuschreiben. Die Inkubationszeit eines Virus kann Minuten, aber auch Jahre dauern.
Die Selbstreproduktion und die Überarbeitung von Codes innerhalb eines befallenen Wirtes zeigt die Analogie zwischen den Computerviren (Technik) und den natürlichen Viren (Biologie) auf. Auf jeden Fall ist es so, dass Computerviren im Gegensatz zu ihren „Vorfahren“ sehr jung- und lange nicht so ausgereift sind.
Das Computervirus benötigt einen Autor und einen menschlichen Empfänger, der sich einsam fühlt und wissen möchte, wer ihm Zuwendung schenkt. Er möchte wissen, wer ihm eine Mail mit dem Titel „I love you“ schreibt. Hier führen entweder menschlich naive Neugier oder reines Unwissen zur Infektion bzw. Replikation eines Virus, während sich das biologische Virus durch Luft und Liebe überträgt.

Am 10. November 1983 hat der Doktorand Fred Cohen das erste Programm geschrieben, das sich eigenständig fortpflanzt 1. Dieses programmierte er im Rahmen eines Universitätsseminars zum Thema Computersicherheit. Er führte verschiedene Virenangriffe an Unix-Rechnern durch, welche alle erfolgreich waren. Daraufhin entschieden die Unix-Systembetreuer, dass keine Versuche mehr durchgeführt werden sollen. Nach langen Verhandlungen durfte Cohen letztendlich doch weiterforschen und kam zu folgendem Fazit: „ Viren Angriffe scheinen leicht und kürzester Zeit zu entwickeln zu sein, können so gestaltet werden, dass sie auf den meisten derzeit in Anwendung befindlichen Systemen wenig oder gar keine Spuren hinterlassen, umgehen moderne Benutzerregeln und setzen nur minimale Fachkenntnis voraus. Ihr Bedrohungspotenzial ist groß, und sie können sich sehr schnell in einem Computersystem ausbreiten“2

Menschliche Skrupellosigkeit führt dazu, dass die zügellose Verbreitung und die Überlebenskraft von Viren für viele Anwendungsgebiete interessant erscheint. Die Zerstörungspotenz imponiert besonders bei kriegerischen Attacken gegen ‚feindliche’ Netzwerke (siehe Stuxnet), aber im zivilen Sektor beim viralen Marketing
Ein scheinbar unterhaltendes Marketing, das Interessen und Sensationslust bestimmter Bevölkerungsgruppen benutzt, um ein Produkt zu vermarkten. So spielt beispielsweise eine Katze auf einem iPad Klavier. Aufgenommen ist das Ganze mit einer Handkamera, deren Qualität nicht gerade die technische Klimax ist. So filmt ein ganz normaler Mensch (inklusive iPad versteht sich) mit seiner Handykamera seine Katze, die auf dem iPad farbliche Markierungen jagt. Das finden alle ganz knuffig- „hier Oma guck mal!“. Und schon kullert der Schneeball, der mal zur Lawine werden wird, den Hügel herab. Dem zur Folge benutzt das virale Marketing den menschlichen Hang zur Unterhaltung, um sich zu verbreiten.
Eigentlich benutzt man den Begriff Unterhaltung nur noch als ein Ereignis, bei dem man sich passiv bespaßen lässt.
Aber wer betitelt einen Dialog noch als Unterhaltung? Meist wird nur das Verb benutzt. So wird von einem Gespräch oder Klönschnack gesprochen, da das Wort ‚Unterhaltung’ anders konnotiert ist.
Während eines Dialoges können auch Viren ausgetauscht werden, einmal durch Tröpfcheninfektion, aber auch durch heiße Luft. Die heiße Luft des Gegenübers versorgt uns meist mit Informationen. Oft werden wir von diesen gelangweilt, nichtsdestotrotz werden diese dennoch oft weitergetragen. Es gibt ja richtige Virenbasen, die permanent Informationen nur so heraus blasen.
So könnte man überlegen, ob Informationen auch eine Art Virus sind. Informationen übertragen sich durch verschiedenste Medien (Internet, Fernsehen, Radio, Schrift, Sprache) und dies unglaublich schnell. Es gibt informationsreiche und demnach auch informationsarme Reize. Jeder wird tagtäglich mit Information beziehungsweise Reizen versorgt, ob man im Internet surft und sich über Werbung bei youtube ärgert oder durch den Wald schlendert und bemerkt, dass der Baum, den man mal vor Jahren mit einem Messer signiert hat, blüht. Am Ende des Tages erzählt man seinen Nächsten von seinen Erlebnissen und Erfahrungen. Durch die Rezeption und die subjektive Dechiffrierung werden diese dann zu Informationen, die dann selektiert weiter getragen werden. Damit Informationen zu einem Virus mutieren, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. So dürfen sie nicht nur für einen Menschen persönlich von Interesse sein, sondern sollten auch die Empfindungen anderer Menschen ansprechen. Es ist schwierig ein Beispiel zu finden, das alle Menschen emotional berührt. Manche Menschen sich distanzieren von Denunziation, die wiederum für andere als unglaublich interessant empfunden wird und am Stammtisch oder bei einer Kaffeefahrt ‚erörtert’ werden kann.
Wahrscheinlich ist die Saat der Angst, die Art der Information, die am schnellsten in den Mündern aller ist.
Jeder Mensch ist empfänglich für Angst. So zerplatze die Blase, als Deutschland vor den Terrorwarnungen erzitterte.
Emotional berührende Gegebenheiten führen uns Menschen oft dazu Informationen ‚subjektiv’ zu erweitern. Dies ist ein Problem an dem Gedanken, dass Informationen gleich Viren sind. Menschliche Viren verändern sich meist sehr langsam oder gar nicht. Sie verteilen sich im Wirt und versuchen sich identisch auf andere Wirte zu multiplizieren. Informationen hingegen sind veränderbar und können während der Wiedergabe konträre Gestalten annehmen. Selbst die um Objektivität bemühte Geschichtswissenschaft wird von Land zu Land divers niedergeschrieben, ausgelegt und gelehrt. Ein anderes Beispiel wären monumentale religiöse Schriften, die von Mensch zu Mensch verschieden interpretiert und weitergegeben werden.
Also ist bei der Gegenüberstellung von Viren und Informationen eher die Form der Verbreitung vergleichbar als der Inhalt bzw. Code.

1 http://all.net/books/virus/index.html

2 Cohen, Fred zitiert nach Ruth Mayer und Brigitte Weingart. Virus Mutation einer Methapher. Transcript Verlag. Bielefeld: 2004: S. 161




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