Wissen

In Zeiten von Hypertexten und Quellcodes wird Wissen anders generiert, nämlich durch eine Vielzahl an Informationsanbietern, statt durch eine zentrale Institution. Es wird anders vermittelt (E-Learning), anders verbreitet (Weblogs) und anders gespeichert (Online-Archive) – Wissen wird zunehmend digital prozessiert. Der Mehrwert geteilten Wissens veranlasst Optimisten zu der Hoffnung, das Internet werde den weltweiten Zugang zu Wissen demokratisieren. Tatsächlich sorgen Suchmaschinen, Online-Datenbänke und Chat-Foren für eine neue Wissensordnung, die sogar die digitalen Lese- und Schreibrechte als Quelle kollektiver Kreativität förmlich anerkennt. Damit wird jedoch gleichzeitig eine Rückwirkung auf das Verhältnis von Industrie- und Wissensgewerbe sowie auf das Verhältnis von Wissen und Wirklichkeit erzielt. Denn wenn uns die Geschichte des Internet eines lehrt, dann ist es wohl der Autonomiegewinn in der Verfolgung eigener Ideen, der aus der lose vernetzten Vielfalt teils konkurrierender, teils kooperiernder Anwendungs- und Verwertungskontexte entspringt, womit für ein Sammelsurium an Informationen gesorgt ist, deren Auswahl und Analyse eine neue Form der Kulturtechnik darstellt (Vgl. Schetsche 2005, S. 31).

Die Wissensproduktion, -distribution und -aneignung im Netz wird bestimmt durch die Wissensverwertungsindustrie in Form von kommerziellen Einrichtungen und einer Vielzahl an (teils anonymen) Wissensproduzenten, womit die Wissensorganisation im Web ganz andere Eigenheiten aufweisen als das Medium Buch. Dennoch soll die Informationsplattform Internet nicht nur negativ dargestellt werden, immerhin versetzen uns Google & Co in die Lage der „informationellen Selbstbestimmung“ (Kuhlen 2005, S. 389). Doch wie sieht die virtuelle Zukunft aus? Schenkt man den nanotechnologischen Visionen von Ray Kurzweil Glauben (Vgl. Kurzweil 2000), bewegen wir uns bereits auf das Zeitalter maschineller Intelligenz zu, in dem menschliche Vernunft durch Hybride erweitert werden wird.

Vannevar Bushs Ideen der Gedächtnis-Erweiterung haben hierbei deutlich Vorarbeit geleistet: Bush hat seine Maschine Memex als Erweiterung des menschlichen Verstandes betrachtet und somit die „Intelligence Augmentation“ (Vgl. Pias 2004, S. 26) vorweggenommen. Rechen- und Rechtschreibschwächen bei Menschen resultieren nicht zuletzt auch daraus, dass der Computer ihnen diese Arbeiten abnimmt. Außerdem müssen große Mengen an Informationen nicht mehr im Gedächtnis gespeichert werden – es reicht zu wissen, wo Daten zu finden sind und nicht, was sie im Detail enthalten. Manch ein Kybernetiker prophezeit sogar eine Welt, die von Robotor beherrscht werden könnte.

Diese Bilder einer automatisierten Welt schwanken zwischen Dystopie und Eutopie – und bleiben damit in jedem Fall Wunschvorstellungen. Zwar gibt es bereits Kampfdrohnen, Industrieroboter und Nanobots, jedoch wäre es übertrieben zu sagen, dass der Computer das Denken für uns übernommen hat. Genauso wenig, wie das Internet die Produktion, Distribution und Aneignung von menschlichem Wissen übernommen hat, auch wenn ein digitales System heutzutage diesbezüglich kaum noch wegzudenken ist.


Quellen:

Kuhlen, Rainer: Macht Google autonom? Zur Ambivalenz informatieller Autonomie. In: Lehmann, Kai et al. (Hg.): Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens. Bielefeld: 2005, S. 385-394.

Kurzweil, Ray: The Age of Spiritual Machines. When Computers Exceed Human Intelligence. New York: 2000.

Pias, Claus: Zeit der Kybernetik. Eine Einstimmung. In: ders. (Hg.): Kybernetik. The Macy conferences 1946-1953. Band II. Zürich [u.a.]: 2004, S: 9-42.

Schetsche, Michael et al.: Die Google-Gesellschaft. Zehn Prinzipien der neuen Wissensordnung. In: Lehmann, Kai et al. (Hg.): Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens. Bielefeld: 2005, S. 17-31.

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