Medienjournalismus

Was passiert nun, wenn trotz Schleusenfunktion der Journalisten und Redakteure, die 12 Faktoren der Nachrichtenselektion nur halbherzig beachtet werden? Wie kann im Falle von journalistischen Fehltritten die Leserschaft bzw. der User im Internet darüber aufklärt werden?

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann 1996: 9). Dieses in der Literatur häufig auftauchende Zitat des Soziologen Niklas Luhmann veranschaulicht eine offenbar mediale Allmacht, die den Informationsfluss innerhalb unserer Gesellschaft prägt und steuert. Im Zuge der Medienentwicklung der letzten Jahrzehnte haben sich sowohl technische Möglichkeiten als auch inhaltliche Angebote der Medien innerhalb kürzester Zeit vervielfältigt, sodass Deutschland heute mit einem umfangreichen und unübersichtlichen Medienangebot als größtes und am weitesten entwickeltes Mediensystem Europas gilt (vgl. Beuthner/Weichert 2005a: 14). Begriffe wie ‚Mediengesellschaft’ und ‚Mediatisierung’ springen dem alltäglichen Zeitungsleser und Online-Nutzer förmlich ins Auge. Gibt man diese Schlagworte beispielsweise im Internet bei Welt online ein, flimmern bis zu 500 Artikel über den Bildschirm. Mächtige Verlagsgrößen wie die Bertelsmann AG, die Axel Springer AG und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung generieren durch Fusionen zunehmend Einfluss und Macht, jedoch bieten ihre umfangreichen Geschäftsmodelle wenig Transparenz nach außen und verdichten den „Dschungel von Beliebigkeit und Unverbindlichkeit (…), der die Medien zu überwuchern droht“ (ebd.: 12).

Lange haben die Medien alles beobachtet – nur nicht sich selbst. Doch die Deregulierung des Rundfunkwesens seit Mitte der achtziger Jahre und der Internet-Boom in den neunziger Jahren haben unter anderem dazu beigetragen, in der deutschen Medienlandschaft die kritische Beschäftigung mit dem eigenen Metier in den Fokus zu rücken (vgl. Fengler 2003: 147). Unter dem Stichwort Medienjournalismus wird versucht, durch geäußerte Medienkritik eine Form der journalistischen Qualitätssicherung zu gewährleisten. Medienjournalismus wird von Krüger und Müller-Sachse (1998: 16) definiert als „jedes journalistische Produkt, das Medien oder die Medien betreffende Sachverhalte, Ereignisse etc. thematisiert“ und sich sowohl an ein Fach- als auch Laienpublikum wendet. Er besitzt die wesentliche Funktion, „alle relevanten Handlungsbereiche im Mediensektor“ zu thematisieren und einen Kontext zu schaffen, in dem der Rezipient seine Medienkompetenzen ausbauen kann (vgl. ebd.: 13). In Anbetracht fehlender staatlicher Kontrollinstanzen für die Medien wird dem Medienjournalismus als Instrument der Medienselbstkontrolle eine große Bedeutung zugesprochen (vgl. ebd.: 16).

Als nachträgliche Gatekeeper-Funktion kann Medienjournalismus ebenfalls auf das Internet übertragen werden. Der Trend zur medialen Kombination von klassischer Zeitung/Zeitschrift am Kiosk und Onlineberichterstattung im Netz ist nach wie vor florierend. Daher muss das Beobachtungsfeld der Medienjournalisten vor allem auf das Internet erweitert werden. Dabei ist eine schnellere Organisation bzw. Reaktionsfähigkeit gefragt, denn die Veröffentlichung im Netz geschieht wesentlich schneller als auf klassischem Wege.

Es gibt jedoch einige Selbstbeobachtungsfallen:

Definitionsfalle: Worüber sollen Medienjournalisten nun berichten? Das Wort „Medien“ ist nicht eindeutig und bietet eine große Interpretationsfläche. Die unklare Begriffsdefinition hat zur Folge, dass Medienthemen mit politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Aspekten zunehmend auf andere Ressorts verteilt werden und demnach verschieden Aspekte gleicher Themen querbeet und unübersichtlich formal getrennt werden. (Auch Ressortschizophrenie genannt)

Kollegenorientierung: Medienjournalisten befinden sich in einem ständigen Rollenkonflikt. Ihre Rolle als Berufskollege erschwert es ihnen, nach außen als unabhängige Berichterstatter zu wirken. Unter Beobachtung der eigenen Kollegen laufen sie Gefahr dem „Vorwurf der Nestbeschmutzung“ (Beuthner/Weichert 2005a: 21) ausgesetzt zu werden. Die Nähe zu den Kollegen lässt sich auch unter anderem darauf zurückführen, dass Medienjournalisten und Journalisten die gleiche berufliche Sozialisation durchlaufen. Der so genannte „Fraternisierungseffekt“ kann den Grad der Identifikation mit den Kollegen erhöhen und eine nötige professionelle Distanz erschweren (vgl. Fengler 2002: 73).

Transparenzprobleme: Betrachtet man das Verhältnis des Medienjournalisten als Arbeitnehmer hinsichtlich seines Arbeitgebers, stößt man auf einen „dauerhaften unternehmerischen Abhängigkeits- und Loyalitätskonflikt“ (ebd.: 21). Medienjournalisten befinden sich somit nicht nur in einem kollegialen, sondern ebenfalls in einem ökonomischen Interessenkonflikt. Da sie stets in wirtschaftliche Sachzwänge eingebunden sind, wird von ihnen Loyalität gegenüber dem eigenem Konzern eingefordert. Gleichzeit soll eine gesunde Distanz gegenüber fremden Unternehmen bewahrt werden (vgl. ebd.).

Betriebsblindheit: Medienjournalisten wird eine chronische Betriebsblindheit nachgesagt, die sich oftmals aus den verstrickten Beziehungen und dem Einfluss des eigenen Verlages ergibt. Anstelle einer Selbstbeobachtung und Selbstreflexivität drängt sich häufig eine starke Selbstreferenz in den Vordergrund. Und statt einer bewussten Auseinandersetzung mit dem Journalismussystem werden die gleichen Informationsquellen bzw. ausschließlich verlags- und unternehmensinterne Archive als Grundlage der Berichterstattung genutzt (Beuthner/Weichert 2005a: 16). Dieter Prokop betont jedoch, dass „Kritik (…) nur möglich [ist], wenn man sich außerhalb des Systems stellt, das man kritisiert“ (Prokop 2005: 99). Medienjournalisten können ihre Beobachtung der Beobachter aber nur aus einer spezifischen Perspektive und unter den speziellen Rahmenbedingungen des Journalismus vollziehen, d.h. sie sind auch wie ihre Kollegen von den systemeigenen Operationen, Normen und sonstigen professionellen Standards abhängig. Ihr Dilemma ist es, denselben Systembedingungen unterlegen zu sein, wie der Journalismus, der kritisiert wird: Sie erlernen schließlich das gleiche Handwerk und folgen gleichen Thematisierungs- und Entscheidungskriterien, denn Medienjournalisten sind, wie der Begriff beinhaltet, auch nur Journalisten (Bucher 2003: 26). Die Frage stellt sich, ob man nun überhaupt auf der einen Seite Journalisten Mängel und Fehltritte eingestehen und zeitgleich den Anspruch einer Kontrolle journalistischer Qualität an Medienjournalisten stellen kann.

Im Rahmen dieser Einschränkungen sollten sich Medienjournalisten, um ihre Aufgabe als gesellschaftskritische Beobachter nicht zu vernachlässigen, bewusst mit den vermeintlichen Selbstbeobachtungsfallen auseinandersetzen. Um der Definitionsfalle entgegenzuwirken und die Orientierungsfunktion der Medienjournalisten zu stärken, müsste neben einer genaueren Definition seines Gegenstandes ebenfalls das Tätigkeits- und Berichterstattungsfeld erweitert und stabilisiert werden. Um sich von den anderen Journalisten abzugrenzen, sollten Medienjournalisten ihre Berichterstattung entschleunigen, um durch Langzeitbeobachtung mediale Rückblicke zu wagen und dadurch eine umfangreichere Orientierungsleistung für die Leser zu bieten (vgl. Beuthner/Weichert 2005a: 24). Um das Problem der Ressortschizophrenie und der Phänomengebundenheit zu lösen und eine kohärentere Medienberichterstattung zu leisten, sollte die Themenwahl stärker typologisiert werden. Um die Transparenz- und Qualitätssicherungsfunktion zu stärken, braucht Medienjournalismus verstärkt publizistische Freiräume. Ein Bespiel wäre das Einstellen von Medienkritikern, die in ihrer bisherigen Berufbiographie nicht ausschließlich als Journalist tätig waren und demnach andere Werte, Einstellungen und Motive mitbringen (vgl. Fengler 2002: 301). Oder aber das Einsetzen von zusätzlichen Ombudsleuten, die als Mittler zwischen Verlagen, Redaktionen und Publikum fungieren (vgl. Beuthner/Weichert 2005a: 25).

Medienjournalismus als Form der Medienselbstkontrolle scheint aufgrund einiger Fallen nicht ausreichend zu sein. Es bedarf weitere Instanzen bzw. neuartige Formen der Medienkritik, wie es das Internet hervorbringt. Kritische Medienblogs à la bildblog.de decken bereits aktiv Mängel etablierter Massenmedien auf. Durch die Kommentarfunktion auf vielen Websites könne Nutzer direkt über die Qualität einzelner journalistischer Beiträge diskutieren. Soziale Netzwerkplattformen wie Facebook oder Twitter helfen dabei, mit ihrer großen Reichweite und schnellen Verbreitung, Informationen und Kritiken publik zu machen. Wie und ob eine Form der Qualitätskontrolle im Word Wide Web geschaffen werden kann, bleibt zu untersuchen. Der Autor Seth Godin schreibt in seinem Tribes-Buch den digitale Medien Netzwerken die Funktion eines dynamischen Gatekeepers zu: “If an information is important enough, it will find me”.

Literatur

Beuthner, Michael/Weichert, Stephan Alexander (Hg.) (2005a): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Bucher, Hans-Jürgen (2003): Journalistische Qualität und Theorien des Journalismus. In: Bucher et al. (Hg.): 11-34.

Fengler, Susanne (2002): Medienjournalismus in den USA. Freie Univ., Diss.--Berlin, 2001. Konstanz: UVK-Verl.-Ges. (Wissenschaftsforum, 9).

Fengler, Susanne (2003): Medienkritik – feuilletonistische Textsorte oder Strategie zur Qualitätssicherung? In: Bucher et al. (Hg.): 147-161.

Krüger, Udo Michael/Müller-Sachse, Karl H. (1998): Medienjournalismus. Strukturen, Themen, Spannungsfelder. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Luhmann, Niklas (1996): Die Realität der Massenmedien. 2., erw. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Prokop, Dieter (2005): Das unmögliche Kunststück der Kritik. Ein Beitrag der neuen kritischen Medienforschung. In: Hallenberger et al. (Hg.): 98-116.

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