Der Autor wird gemeinhin als Verfasser bzw. Erzeuger von Texten jeglicher Art verstanden.
Der Begriff des Autors erscheint heute als gänzlich selbstverständlich, dabei prägte er sich in seiner heutige Form erst im ausgehenden 18. Jahrhundert aus. Die technische Entwicklung des Druckwesens ermöglichten erstmals Massenproduktionen von Texten führten und führten so zu einer signifikanten Vergünstigung der Produktion. Neben diesen Effekten der technischen Neuerungen waren es das Bevölkerungswachstum und die zunehmende Alphabetisierung der Bevölkerung die die Entstehung eines literarischen Marktes vorantrieb und den Übergang von einem Elitepublikum hin zu einem Massenpublikum evozierten. Die Einbindung der Literatur in das Wirtschafts- und Rechtssystem der modernen Gesellschaft veränderte das Verständnis vom geistigen Eigentum und etablierte den Autor als Bestandteil des Literatursystems. Das Konstrukt des Autors galt fortan als entscheidende Größe sowohl für die Zuschreibung von Verantwortlichkeit als auch für die Regelung finanzieller Ansprüche. Doch nicht zuletzt diente der Autor als Garant von stilistischer Individualität, Einheitlichkeit und Authentizität.
Diese Annahmen wurden Ende der 60er Jahre durch Roland Barthes Postulat vom Tod des Autors und der Verabschiedung des Autors zugunsten einer universalen Intertextualität erschüttert. Barthes autorkritischer Ansatz richtet sich gegen die autororientierte Interpretation von Texten, bei denen die vermeintliche Intention und Biographie des Autors als interpretative Kategorien verwendet werden. Die Vorstellung des Autors als genialen, individuellen und autonomen Schöpfer nivelliert sich für Barthes durch die Annahme, dass jeder Text - metaphorisch gesprochen - „ein Gewebe von Zeichen“ (Barthes 191) ist. Alle Texte sind folglich „aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten“ (Barthes 192). Anstatt eines genialistischen Schöpfers arbeitet nur noch ein kompilierender Schreiber an dem Gewebe Text.
Entscheidend für diese Erörterungen Barthes ist die Theorie der Intertextualität. Verkürzt lässt sich die Intertextualität als die notwendige Beziehung aller Texte zueinander bezeichnen. Geprägt wurde der Begriff Ende der sechziger Jahre von Julia Kristeva. In ihrem Aufsatz „Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“ konstatiert Kristeva, dass die literarische Struktur nicht ist, „sondern sich erst aus der Beziehung zu einer anderen Struktur herstellt“(Kristeva 335). Daraus resultiert, in Kristevas Erörterungen, dass das „»literarische Wort« nicht ein Punkt (nicht ein feststehender Sinn) ist, sondern eine Überlagerung von Text-Ebenen, ein Dialog verschiedener Schreibweisen: der des Schriftstellers, der des Adressaten (oder auch der Person), der des gegenwärtigen oder vorangehenden Kontextes.“ (Kristeva 335). Gemäß dieser Theorie ist kein Text nicht intertextuelle und alle Texte stehen in steter Verbindung mit anderen Texten und können nicht als eine jeweils abgrenzbare Einheit verstanden werden.
Geht man von einem solchen allumfassenden Textkörper aus, so gilt es in der Konsequenz die Kategorie des Autors zu reflektieren, wie Roland Barthes und nach ihm auch Michel Foucault in seinem Aufsatz „Was ist ein Autor?“ es taten. Diese Analysen hatten jedoch weder Auswirkungen auf die juristische Praxis noch auf den Umgang mit dem Konstrukt des Autors in der ökonomischen Sphäre.

Betrachtet man die Thesen Barthes und Kristevas, so scheint eine Überleitung zur Frage nach dem Autor im Internet nahe liegend und das oftmals für überholt erklärte Diktum vom Tod des Autors gültiger denn je.
Denn die von Barthes angeführten Charakteristika des Textgewebes lassen sich leicht auf den Hypertext des Internets übertragen, denn dieser wird gemeinhin als elektronisch abgespeicherter nicht linerarer Text definiert. Einschlägigen Begriffsbestimmungen nach besteht der Hypertext aus einzelnen, in sich linear strukturierten Informationseinheiten (nods) die durch Querverwiese (links) mit einander verknüpft sind.
Die sichtbare Kommunikationsoberfläche bleibt zwar beschränkt auf wenige Informationen, dennoch wird die Komplexitätssteigerung stets als eines der entschiedenen Merkmale des Hypertextes angeführt. Tradierte Kommunikationsformen werden durch das Mehr an Möglichkeiten für Verfasser wie Leser erweitert und die Produktion und Rezeption werden entgrenzt. Ob aus diesen Beschaffenheiten allerdings tatsächlich die Schlussfolgerung auf den Bedeutungsverlust des Autors gezogen werden kann und das Internet als praktischer Beweis des Postulats vom Tod des Autors gelten kann bleibt fraglich.So wird beispielsweise argumentiert, dass der Autor seit jeher in diversen intertextuellen und realen Beziehungen steht und diese durch das Internet lediglich greifbarer und offensichtlicher erscheinen, aber keinesfalls als Argument für die Veränderung der Bedeutung des Autors im Internet dienlich sind.Sehen die einen die Verknüpfungen von Texteinheiten als Möglichkeit des Lesers seine Lektüre individuell zu strukturieren und sich von dem vom Verfasser intendierten Verlauf zu lösen, so sehen andere in der Setzung von eben diesen links vieleher einen Bedeutungszuwachs des Autors.
Wie sich bereits an der Gegenüberstellung dieser wenigen Argumente zeigt, lässt sich kaum ein eindeutiger Schluss ziehen, weder als Plädoyer für die Komplettaufgabe des Konstrukt Autor noch für die Annahme eines Relevanzzuwachs des digitalen Autors.Wir befinden uns in einem ähnlichen Dilemma aus Theorie und Praxis wie es die Gegner und Befürworter Barthes einst taten.
Dieses etwas unbefriedigende Fazit lässt sich wohl nicht zuletzt auf die verschiedenartigen Textformen und strukturellen Rahmen die im Internet bestehen zurückführen.Denn beispielsweise bei vielen wissenschaftlichen oder journalistischen Texten wird das Internet eher als zusätzliches Verbreitungsmedium genutzt. Die Texte erscheinen in gleicher Form oftmals in Printmedien und sind gar als lineares pdf-Dokument verfügbar. Hier dienen die Möglichkeiten des Internets nicht der Verwirklichung veränderter Schreibpraxen, sondern bloß der hürdenlosen Publikation. Durch die bedingten Möglichkeiten des Leser den Text zu modifizieren wird die Trennung zwischen Autor und Rezipient, wie von Druckpublikationen gewohnt, beibehalten.Gänzlich anders ist die Rolle des Autors bei Projekten wie Wikipedia, bei denen die kollektive Autorschaft zentral ist und der Gedanke von der Aufhebung der Grenze zwischen Autor und Leser konsequent weitergeführt wird. Hier sind es Stichworte wie der prinzipiell unabgeschlossene Charakter, die unbeschränkten Optionen für Verknüpfungen und der Anspruch das heterogene Wissen der einzelnen Nutzer zusammen zu bringen die an die Ausführungen Roland Barthes erinnern. Die Pseudonyme unter denen die Nutzer agieren dienen als weiterer Indizien für die Infragestellung des konventionellen Autorbildes.

Berechtigt ist nun die Frage, ob erstere Textformen vielleicht noch ein Relikt der Buchdruckära - der, um mit McLuhan zu sprechen, Gutenbergalaxis - darstellen und sich eine zunehmende Entwicklung zu der zweiten Form abzeichnen wird.
Die derzeitige Ungewissheit über diese mögliche Entwicklung gilt es zu erdulden, dabei die Veränderung der Kategorien Text und Autor weiter zu beobachten und vielleicht irgendwann, mit den Worten Barthes, endgültig den Tod des Autors auszurufen!


Barthes, Roland: „Der Tod des Autors“. In: Jannidis, Fotis u.a. (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart (2000). S.185-193. Der französiche Originaltext mit dem Titel La mort de l'auteur erschien erstmals 1968 in der Zeitschrift Manteia.

Claußen, Thorsten: Autorschaft und Internet. Auswirkungen auf die Autorschaft durch technische Möglichkeiten und Grundlagen des Internets. Lüneburg (2005).

Hartling, Florian: Der digitale Autor. Autorschaft im Zeitalter des Internets. Bielefeld (2009).

Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Kimmich et al. : Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart. Stuttgart (1996).

Nünning, Ansgar (Hrsg.): Grundbegriffe der Literaturtheorie. Stuttgart (2004).

Ueding, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 1. Tübingen (1992).

Winko, Simone: Lost in hypertext? Autorkonzept und neue Medien. In: Jannides et al.: Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen (1999).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.