Film Noir oder doch eher Pretty in Pink?

Erstmals aufgegriffen in der Science-Fiction-Literatur der 80er Jahre, erfuhr der Begriff 'Cyberpunk' bereits kürzeste Zeit nachdem er das Licht der Welt erblickte von allen Seiten Verwandlungs- und Modifikationsprozesse, die ihn letztendlich als nahezu omnipräsentes Synonym der heutigen 'Moderne' für unsere Gesellschaft unentbehrlich machten. Dieser Erfolg war nicht nur Journalisten und diversen Schriftstellern der Science-Fiction-Literatur zuzuschreiben. Auch postmoderne Theoretiker, Internet-Surfer und Fans nahmen sich dem 'Cyberpunk' auf wundersame und insbesondere mannigfaltige Weise an. Sie bastelten und formten an diesem Begriff herum, bis er irgendwann leise aber deutlich der Undefinierbarkeit anheim wurde. So wurde der Begriff 'Cyberpunk' nach und nach mit den unterschiedlichsten Farben besprenkelt, weswegen er heutzutage recht sonderbare Akzente und höchst interessante Nuancen aufweist.
Mark Dery, der wohl bekannteste New Yorker Kulturkritiker der 80er Jahre, verwendete diesen 'Neologismus' 1989 für eine Titelstory der Zeitschrift 'Keyboard'. Über das Synonym 'Cyberpunk' definierte er zunächst den damaligen industriellen Elekto-Rock, der sowohl Elemente des Grunge als auch die ein oder andere Eigenschaft des Si-Fi besaß. Eine Hypothese prägt diesen Artikel in besonderem Maße. Es ging dabei vor allem um die Bündelung einiger immer wiederkehrender Tehem der Cyberkultur: "Die Annäherung von Mensch und Maschine, die Substitution sinnlicher Erfahrung durch digitale Simulation und der 'Missbrauch' von Hochtechnologien im Dienste perverser Lüste oder subversiver Ideologien in der Subkultur." Die Ambivalenz, mit der laut Dery der Computer als "Motor der Befreiung und Werkzeug der sozialen Kontrolle" verstanden wird, kristallisiert sich als eine grundlegende, bis in die 60er Jahre zurückreichende Auffassung der postmordernen Gesellschaft heraus. Als Beschleunigungsapparat der unüberwindbaren, allgegenwärtigen Atomarisierung der Gesellschaft fungierend, kann der Computer gleichermaßen als Reanimateur des sozialen Gewebes verstanden werden, das von der industriellen Moderne in höchst degenerierendem Sinne tangiert wurde.
Lewis Shiner, einer der Gründerväter des 'Cyberpunk' Gernes, setzt diesen Begriff zum einen mit zwielichtigen Gestalten in schwarzem Leder Outfit in Verbindung, deren musikalische Kreativität sich hauptsächlich auf Synthesizer und Sampling beschränkt. Andererseits verliert er das, was einst als "literarisches Äquivalent" zu einer terroristischen Splittergruppe begann, nicht aus den Augen. Der steigenden Tendenz zur Popularisierung des 'Cyberpunk' steht er durchaus kritisch gegenüber. Er zeigt sich öffentlich als dessen Anfechter, als er in einem 'New York Times' Editorial mit folgenden Worten argumentiert: "Anfangs war der Cyberpunk ein modisches Sub Genre der Si-Fi Literatur. Es ging um Leute, die am Rand der Gesellschaft die Gelegenheit ergriffen, und High-Tech-Produkte umfunktionierten. - Teils aus Spaß, teils aus Profitsucht. (...) aber schon um 1987 herum war der Begriff nur mehr ein Abziehbild seiner selbst. (...) gerade als er für uns seine Bedeutung verlor, breitete er sich virusartig im Mainstream aus, wo er weiterhin Konjunktur hat." Statt den Machtbgeriff aus kritischer Sicht zu beleuchten, so Shiner, suggeriert der 'Cyberpunk' des Massenmarktes "Machtfantasien, Videospiele und Actionfilme, deren Spannung ins Leere führt". Er mythologisiere die Konsumsucht, die uns Menschen mittlerweile schon von Natur aus innewohnt und legitimiere den Gedanken, ökonomische Krisen und moralische Diskrepanzen seien anhand rein technischer Mittel zu bewältigen.
Spätestens mit Billy Idols meisterhafter Anpassung an den Mainstream sollte sich Shiners schlimmste Befürchtung gegenüber den selbsternannten "Cyberpunk-Leder-Synth-Rockern" bestätigen. Damals brachte ex Punk-Rocker Billy Idol, der aufgrund seiner Marktkonformität den 1977er Jahrgang überstand, im Jahr 1993 die Platte "CYBERPUNK" heraus. Ungeniert bediente er sich eines jeden 'Cyberpunk' Klischees und bestätigte somit gleichzeitig die moderne Gesellschaft in ihrem nahezu primitiven Opportunismus.
Der ehemals als literarisches Sub Genre in die Welt gerufene Terminus 'Cyberpunk' bewährte sich in Kürze als florierendes Marketing Schlagwort. Weniger durch Inhalt, als aufgrund von ideologischer Relevanz, repräsentiert der Begriff kulturelle Ideen und Mem-Konzepte, deren Resonanz sich auf 'Attitude' ohne tieferen Sinn beschränkt. Die vage Bezeichnung 'Cyberpunk' wird also zu einem konzeptionellen Spiegel der modernen Gesellschaft, der mehr reflektiert als Bedeutung beizumessen.
Im Laufe der Zeit verschwindet die Assoziation mit einem Si-Fi Sub Genre. 'Cyberpunk' wird mehr und mehr zu einer Bewegung, die als Respräsentant der sich entwickelnden digitalen Kultur unter Einschluss der gegenkulturellen Faszination der 90er Jahre fungiert. - Computer, Undeground, Rave / House Kultur, Designer Drogen und Gothik Morbidität sind nur einige wenige Ausgeburten dieser Gegenkultur.
Quelle: Dery, M.: "Cyber, die Kultur der Zukunft", Volk+Welt, Berlin (1996)

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