Liebe, Kapitalismus und Online Dates

„Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, das heißt wenn dein Lieben als Lieben nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch eine Lebensäußerung als liebender Mensch dich nicht zum geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück“ (Karl Marx)

Liebe, Kapitalismus und Online Dates

Nach dem deutsch-amerikanischen Sozialpsychologen, Philosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm (1900 – 1980) hängt die seelische Gesundheit der Menschen davon ab, sich mit anderen Menschen zu vereinigen, zu ihnen in Beziehung zu treten. Nach Fromm gibt es „[…] nur eine Leidenschaft, die das Bedürfnis des Menschen befriedigt, mit der Welt eins zu werden und gleichzeitig ein Gefühl der Integrität und Individualität zu erlangen: die Liebe.“ (Fromm, E. (2004), S. 34) Das Erlebnis der Liebe ist die einzige Antwort auf die Frage, was es bedeutet ein menschliches Wesen zu sein und nur sie verbürgt seelische Gesundheit. (vgl. ebd., S. 35) Es ist also nicht verwunderlich, dass abgesehen von beispielsweise biologischen Aspekten die vor allen Dingen die Fortpflanzung/den Artenerhalt betreffen/zusichern, viele Menschen auf der Suche nach dem „richtigen Partner“ oder der „richtigen Partnerin“ sind. In Deutschland ist eine viel genutzte Variante der Partnersuche das Online-Dating. „Pro Monat nehmen laut singlebörsenvergleich.de (2009a) rund 6,3 Millionen Personen Singlebörsen im Netz in Anspruch.“ (Dombrowski, J. 2011, S. 7.) Die Suche nach der Liebe im Netz ist für viele Menschen ein wichtiger Aspekt geworden. Laut der Untersuchung von Emnid (Medien- und Sozialforschung) im Jahr 2003, lernen sich die Deutschen am häufigsten neben der Arbeitsstelle und dem Freundeskreis im Internet kennen. Fünf Millionen Deutsche beteiligen sich nach einer Online Studie von ARD und ZDF an der Partnersuche im Internet. Ein lukratives Geschäft, denn seriöse Anbieter verlangen auch schon mal rund 50 Euro Gebühren im Monat. (Vgl. DER SPIEGEL, Ausgabe 45/2010, S. 80 ff.)

Ich habe mir die Frage gestellt, wie sich die „Liebe“ in unserer heutigen Zeit, im kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verändert hat und welche Rolle das Internet respektive das Online-Dating dabei haben könnten. Ähnlich wie das Schönheitsideal sind auch (Liebes-) Beziehungen dem Wandel der Zeit unterworfen. So war beispielsweise die Ehe im 17. und 18. Jahrhundert eine religiöse Verbindlichkeit und materielle Verankerung. Die Ehe diente nicht dem individuellen Glück, sondern beispielsweise der Sicherung der Erbfolge. Die Ehe war eine dem individuellen Zugriff weitgehend verschlossene, sozial verbindliche Lebens- und Arbeitsform, in der Männer und Frauen bis in die Einzelheiten des Alltags, der Arbeit, der Wirtschaft und der Sexualität vorgegeben war, was sie zu tun und zu lassen hatten. Dass sich nicht jeder daran gehalten hat, ist an dieser Stelle nicht weiter auszuführen. Aber zumindest war dies die gesellschaftlich geltende Norm. Im Zuge der beginnenden Modernisierung lockert sich der übergeordnete Sinnzusammenhang sozialer Existenzformen. In der Trennung von Familien- und Wirtschaftssphäre zerbricht die Arbeits- und Wirtschaftseinheit von Mann und Frau. (Vgl. Beck, U./Beck-Gernsheim, E. (2004), S. 21 f.) „Die rasche Entwicklung unserer modernen Industriegesellschaft, die zunehmende Berufstätigkeit der Frau, die zu erwartenden weiteren Arbeitsverkürzungen, der Umbau der Berufsbilder usw. zwingen die Rechtsordnung zu unvoreingenommener Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Lebensformen in Ehe und Familie.“ (Ebd., S. 42)

Heute wird die Meinung vertreten, dass die Ehe ein Lebensabschnitt ist, der nicht mit dem Tod des Gatten endet, sondern nach Vereinbarung zweier ökonomische orientierter Vertragspartner. (Vgl. Bolz, N. (2004), S. 239) Auch in anderer Fachliteratur lassen sich Zusammenhänge und Darstellungen finden, die die „Liebe“ als Unterordnung des Kapitalistischen Systems erkennen lassen. (Vgl. beispielsweise: Kemper, H./Sonnenschein, U. (2004) (hrsg.): Das Abenteuer Liebe. Bestandsaufnahme eines unordentlichen Gefühls, F. a. M.: suhrkamp. Oder: Busch, H./Ebrecht, A (2008) (hrsg.): Liebe im Kapitalismus. Gießen: Psychosozial Verlag)

Der Medienphilosoph Norbert Bolz stellt heraus, dass der Umgang mit der „Liebe“ dem Konsumverhalten in unserer Gegenwartsgesellschaft ähnelt. Das Stimulierende, das Lustvolle am Konsumieren liegt nicht in der Befriedigung von Bedürfnissen, sondern gerade in der Nichtbefriedigung, aus der das Begehren nach Konsum resultiert. In der so genannten Wohlstandsgesellschaft in der wir leben, komme häufig das Gefühl der Langeweile auf, so Bolz. Von diesem Gefühl kann uns nur die Stimulation des Neuen befreien. Schon rein neurologisch gilt, dass Langeweile der Feind des Gehirns ist. „Deshalb brauchen wir Sport, Hobbies, Sex, Drogen und Musik. Und von der Neurologie zur Soziologie ist es dann nicht weit: Die Grunddynamik des modernen Lebens ist die Flucht vor der Langeweile.“ (Bolz, N. (2004), S. 234.) Dieses Gefühl spiegelt sich auch im Zwischenmenschlichen wieder: Sexualität ist als eine Form des Konsums erkennbar. Hierzu hat sicherlich auch die Antibabypille ihren Beitrag geleistet, die zunehmend „sex for fun“ möglich machte.In den 1960er Jahren herrschte die Überzeugung, dass sexuelles Glück nur in der Ehe und nicht außerhalb davon zu finden sei. (Vgl. Matthiesen, S. (2008), S 82). Ich glaube ich kann, ohne Widerspruch zu ernten, behaupten, dass sich diese Ansicht in der Gegenwartsgesellschaft weitestgehend aufgelöst hat. Zwar ist die Liebe eine Option, da diese aber unökonomisch und zeitraubend ist, muss sie zunehmend martktförmig kontrolliert werden. Wer „clever“ ist, schließt aus den Scheidungsstatistiken dass es ein zu hohes Risiko wäre, alle Gefühle in eine Beziehung zu investieren. (Seit den 1960er Jahren ist in der ehemaligen DDR sowie in der BRD ein Rückgang der Zahl der Eheschließungen bei gleichzeitigem Anstieg der Ehescheidungen zu erkennen. Vgl. hierzu: Büchner, P. (et al.) (1997), S. 35 f.). Das Neue beziehungsweise „die“ oder „der Neue“ ersetzt das Wesentliche. Deshalb kann nur noch das Neue (bzw. „der“ oder „die Neue“) für Wesentlich gehalten werden. „Sein ist Erregtsein“! (Vgl. Bolz, N. (2004), S. 234 ff.) Auch wenn die Auffassung des Medienphilosophen provokant und möglicherweise einseitig dargestellt ist, so beschreibt diese doch treffend die Wirklichkeit. Das von Bolz angedeutete „Marktförmige“ lässt sich beispielsweise auch bei der Partnerwahl im Internet wiederfinden. Typisch für die Partnersuche im Internet ist das Anlegen eines standardisierten Katalogs, in dem Attribute wie Geschlecht, Alter, Kleidungsstil, Musikgeschmack etc. angegeben werden. Diese Hintergrundinformationen soll es den Inserierenden erleichtern, den „richtigen“ Partner zu finden und gefunden zu werden. (Vgl. Döring, N. (2003): S. 10) Wie in einem OTTO-Katalog kann man den Personenkatalog durchstöbern. Nach Fromm ist die Liebe in der heutigen Zeit „[…] oft nichts anderes als ein günstiges Tauschgeschäft zwischen zwei Menschen, die dabei entsprechend ihrem Wert auf dem Personenmarkt so viel wie möglich für sich herausschlagen. Jeder stellt dabei ein ´Paket´ dar, in das mehrere Aspekte seines Tauschwertes zu einer ´Persönlichkeit´ zusammengepackt sind.“ (Fromm, E. (2004), S. 129.) Hierunter fallen, ähnlich wie bei der Zurschaustellung in der Online-Partnerbörse, Aussehen, Bildung, Einkünfte und Erfolgsaussichten und jedermann ist bemüht, soviel wie möglich für dieses Paket einzuhandeln. Nach Fromm handelt es sich hierbei um ein Symptom der Entfremdung, die dem Gesellschaftscharakter des modernen Menschen innewohnt (Vgl. ebd, S. 130). Den Begriff der Entfremdung, den auch Karl Marx verwendete, um die durch den Kapitalismus aufgehobene bzw. zerstörte ursprünglich natürliche Beziehung zwischen Mensch und Arbeit darzulegen, fasst Fromm etwas weiter, indem er unter Entfremdung nicht nur die Beziehung des modernen Menschen zu seiner Arbeit versteht. Der Mensch kann auch in der Beziehung zu den Dingen die er konsumiert, zum Staat und zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst entfremdet sein. „Der entfremdete Mensch hat den Kontakt mit sich selbst genauso verloren, wie er auch den Kontakt mit allen anderen Menschen verloren hat.“ (Ebd., S. 107.)

Auch in der Beziehung zwischen Mann und Frau, bzw. zwischen Mann und Mann und Frau und Frau, findet sich die Entfremdung wieder. Man findet heutzutage nicht viel Liebe oder Hass in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Es herrscht da vielmehr eine oberflächliche Verbindlichkeit, so Fromm. In der SPIEGEL Ausgabe 45/2010, in der es um Online-Dates und Partnerschaften geht, berichten viele Frauen dass sie aufgrund der vielen Online-Dates das Gefühl des „Verliebtseins“ verloren haben. Es scheint als wäre Alleinsein in unserer Gesellschaft ein Makel. Die Suche nach dem richtigen Partner findet kein Ende und die Partnerbörsen im Netz multiplizieren diese Not. (Vgl. DER SPIEGEL, Ausgabe 45/2010 S. 80 f.) Die Psychologin und Paartherapeutin Claudia Clasen-Holzberg, die seit 20 Jahren ihre Praxis betreibt, hat in den letzten fünf bis zehn Jahren beobachtet, dass bei Frauen um die dreißig eine wachsende Ratlosigkeit angesichts der großen Freiheit, der vielen Wahlmöglichkeiten herrscht. Viele verfallen einer Unfähigkeit, sich überhaupt noch für jemanden zu entscheiden. „Vielleicht sitzt der traumhaftere Traummann ja morgen auf dem Flug nach Frankfurt neben mir, vielleicht werde ich wunschlos glücklich mit dem IT-Manager, 83 Matchingpoints, aus Berlin, der gern ins Theater geht. […] Der ambivalente Wunsch nach Bindung und Autonomie gleichermaßen droht uns zu zerreißen.“ (Ebd.) Und das wird bei Männern ähnlich sein.

Es stellt sich somit die Frage, inwiefern die „Kontaktbörse Internet“ die Entfremdung des Menschen widerspiegelt oder diese gar protegiert.

Man darf sich heute die Liebe und automatisch das Leben aussuchen, dass einem gefällt. Die Liebe liegt da wie ein Mittagsbuffet, man kann sich herausnehmen was man will. „All you can eat“. Ein Paradies der Möglichkeiten. Ein Terror der Möglichkeiten. Wir sind überfordert. Die Hoffnung ist immer da, dass noch „ein besserer/eine bessere“ kommen könnte; „Zufriedenheit, sich begnügen, das hat für viele eben doch was mit Aufgeben zu tun. Aber wenn unsere Zeit etwas propagiert, dann doch, dass alles möglich ist. Warum sich mit weniger zufriedengeben?“ (Ebd., S. 83.)

„Ist die „Liebe“, der Partner/die Partnerin langweilig geworden? Ach, dann such ich mit halt den oder die Nächste/n!“ Es scheint als wäre dies das Motto der Gegenwartsgesellschaft. Der in diesem Text viel zitierte Erich Fromm der vor allen Dingen mit seinen Werk „Die Kunst des Liebens“ bekannt geworden ist, unterscheidet bei der „Liebe“ zwischen dem Aspekt des „Habens“ und des „Seins“. In der Weise des „Seins“ ist „lieben […] ein produktives Tätigsein, es impliziert, für jemanden (oder etwas) zu sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an ihm zu erfreuen – sei es ein Mensch, ein Baum, ein Bild, eine Idee. Es bedeutet, ihn (sie, es) zum Leben zu erwecken, seine (ihre) Lebendigkeit zu steigern.“ (Fromm, E. (1979), S. 52.) Liebe in der Form des „Seins“ wird bei Fromm als ein Prozess gesehen, der einen erneuert und wachsen lässt. Wird die „Liebe“ hingegen in der Weise des Habens erlebt, so bedeutet dies nach dem Sozialpsychologen, „[…] das Objekt, das man ´liebt´, einzuschränken, gefangenzunehmen oder zu kontrollieren. Eine solche Liebe ist erwürgend, lähmend, erstickend, tötend statt belebend. Was als Liebe bezeichnet wird, ist meist ein Mißbrauch des Wortes, um zu verschleiern, daß in Wirklichkeit nicht geliebt wird.“ (Ebd.) „Liebe“ als Form des „Habens“ kann aber auch viel subtiler vonstattengehen: In der Zeit der Werbung, wie beispielsweise bei der Partnersuche im Internet, ist sich einer des anderen noch nicht sicher; die Inserierenden suchen zunächst einander zu gewinnen. In Fromms Worten sind sie „lebendig, attraktiv, interessant […]“ (Ebd., S.53) Keiner hat den anderen schon, also wendet jeder seine Energie darauf, zu sein, das heißt zu geben und zu stimulieren. (Vgl. ebd.)

Im Laufe der Beziehung kommt es nach Fromm, wenn man sich in dem Wesen des „Habens“ befindet, dazu, dass niemand mehr gewonnen werden muss, „denn die Liebe ist zu etwas geworden, was man hat, zu einem Besitz.“ (Ebd.) Der Irrtum man könnte Liebe haben, hat uns dazu verleitet aufzuhören zu lieben. Ist möglicherweise die Existenzform des Habens, das passive Verständnis von Liebe, Urheber unserer Verzweiflung? Urheber unserer ewigen Suche nach „dem Richtigen/der Richtigen“, den oder die es aber in der Existenzform des Habens nicht geben wird? Auf die Frage, „ob es ein Paar gibt mit dem du tauschen möchtest“, antwortet ein Single prägnant: „‘Ein glückliches Paar‘, sagt der Anwalt, ´ich meine, ein richtig glückliches? Wenn ich genau hinsehe, sehe ich keines. Sie zweifeln alle so sehr wie ich, jeder für sich, nur eben in einer Beziehung´.“ (DER SPIEGEL, (2010) S. 79.) Kann es in einer vom Kapitalismus geprägten Gesellschaft überhaupt eine aktive, seinorientierte Liebe im Sinne Erich Fromms geben kann? Oder ist sie längst verloren in der Existenzform des Habens?

F. A.

Verwendete Literatur:

Beck, U./Beck-Gernsheim, E. (1994): Individualisierung in modernen Gesellschaften – Perspektiven und Kontroversen einer subjektorientierten Soziologie. In: Beck, U./Beck-Gernsheim, E. (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Frankfurt am Main: suhrkamp.

Bolz, Norbert (2004): Das Begehren und der Konsum. In: Kemper, Peter/Sonnenschein, Ulrich (hrsg.): Das Abenteuer Liebe. Bestandsaufnahme eines unordentlichen Gefühls. Frankfurt am Main: suhrkamp

Büchner, P./Fuhs, B./Krüger, H.-H. (1997): Transformation der Eltern-Kind-Beziehungen? Facetten der Kindbezogenheit des elterlichen Erziehungsverhaltens in Ost- und Westdeutschland. In: Tenorth, H.-E.: Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft 37. Weinheim u.a.: Beltz.

Dombrowski, Julia (2011): Die Suche nach der Liebe im Netz. Eine Ethnographie des Online-Datings. Bielefeld: transcript Verlag.

Döring, Nicola (2003): Internet-Liebe: Zur technischen Mediatisierung intimer Kommunikation.

URL: http://content.wuala.com/contents/nappan/Documents/D%C3%B6ring,%20N.%20%282003%29%20-%20Internet-Liebe..%20Zur%20technischen%20Mediatisierung%20intimer%20Kommunikation.pdf (abgerufen am 07.03.2011).

Fromm, Erich (1979): Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Stuttgart: dtv.

Fromm, Erich (2004): Wege aus einer kranken Gesellschaft. Eine sozialpsychologische Untersuchung. 4. Aufl. München: dtv.

Matthiesen, Silja (2008): Zum sozialen Wandel von Liebesbeziehungen und Sexualität. In: Busch, Hans-Joachim/Ebrecht Angelika (hrsg.): Liebe im Kapitalismus. Gießen: Psychosozial Verlag.

Voigt, Claudia (2010): Die Paarungsfalle. DER SPIEGEL Ausgabe 45/2010.

URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-74948235.html (abgerufen am 07.03.2011).


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