Ent/Körperlichung

Mit seinem Science-Fiction Roman "Neuromancer" (1984) prägte Gibson den Begriff des Cyberspace: ein Computernetzwerk, in dem die Benutzer als komplett entkörperlichte rein mentale Existenzen erscheinen, die sich datenspeichernd und -verarbeitend frei durch die virtuellen Welten bewegen. Auch Michael Heim begreift Cyberspace als den Ort, in dem "minds" miteinander und in größtmöglicher Übereinstimmung verbunden sind, und dabei nicht den Beschränkungen und Notwendigkeiten des physisch anwesenden Körpers unterliegen: "Cyberspace is Platonism as a working product. The cybernaut seated before us, strapped into sensory-input devices, appears to be, and is indeed, lost to this world. Suspended in computer space, the cybernaut leaves the prison of the body and emerges in a world of digital sensation."(Heim). Die Prothesen, derer sich der physische Körper im Cyberspace mit den technischen Möglichkeiten zu bedienen sucht, feiert Gibson als den Ausgang des Menschen aus seiner zwanghaften Körperlichkeit. Der physische Körper als Mittel zum zur-Welt-Sein scheint hier überflüssig zu werden. Und sogar "sensations" wie sie vor allem mit körperlichen Vorgängen verbunden werden, finden hier ausschließlich auf mentaler Ebene im virtuellen Raum statt. Ist dies die vielbeschworene Befreiung des Geistes von den Zwängen des Körpers? Ist damit das cartesische Ideal von der Trennung von Geist und Körper durch die EntKörperlichung im und durch den Cyberspace erfüllt?

Abgesehen davon, dass ich das cartesische Ideal für keineswegs erstrebenswert halte, nimmt diese Sichtweise mit der völligen Verneinung der tatsächlichen physischen Existenzen der jeweiligen "minds" eine unhaltbare Reduktion auf das rein Mentale, auf den logos und damit dessen Überhöhung vor. Diese Vorstellung arbeitet der Utopie zu, den Cyberspace als einen Ort zu sehen in dem anonyme Identitäten miteinander in Verbindung stehen, deren Interaktionen nicht länger von körperlichen Konzepten wie beispielsweise Geschlecht und Rasse bestimmt werden. Denn auch diese "minds" als Datenverarbeitungsmaschinen, visualisiert durch Pixel-Avatare und scheinbar losgelöst von körperlichen Kategorien wie Geschlecht und Rasse, sind in physisch anwesenden Körpern begründet.

Unter Zuhilfenahme Merleau-Pontys Gedanken zur Notwendigkeit der Anerkennung der Verschränkung von Körper und Geist und damit zum Aufbrechen des Cartesischen Dualismus mit seiner Vorrangigkeit des cognito, öffne ich eine, die Körperlichkeit einbeziehende, Perspektive auf den Cyberspace. In seiner "Phänomenologie der Wahrnehmung“ wählt Merleau-Ponty einen die Welt beschreibenden Ansatz, der, auch in Anlehnung an Husserl, einen Rückgang zu den Sachen selbst fordert, und verlangt, die Welt unter Zuhilfenahme unserer unmittelbarsten und ursprünglichsten Erfahrungen zu beschreiben. Das einzige Mittel, was uns zur Verfügung steht um zur Welt zu sein und uns in ihr verorten zu können, ist unser Körper, der, weil er aus dem selben Stoff besteht, wie die Dinge, ein Ding unter den Dingen ist. Wahrnehmung und auch Wissensproduktion geschieht für Merleau-Ponty immer auch durch das unmittelbare körperliche Erfahren, was nicht vom Geistigen oder vom Denken getrennt ist. Vielmehr seien diese beiden Erfahrungsweisen lediglich bestimmte Ausprägungen ein und desselben Zusammenhangs. Der Mensch müsse als doppelblättriges Wesen verstanden werden, das nicht nur Geist oder nur Körper ist, sondern erst durch das Zusammenspiel dieser beiden Aspekte und deren Reversibilität Welterfahrung möglich macht.

Also muss auch der Cyberspace als ein auch in der Körperlichkeit der Benutzer verwurzeltes Erfahrungsfeld gedacht werden. Die von Netzwerk- und Medientheoretikern vertretene Sicht auf die Relationalität in der virtuellen Welt, das Verbinden und Verknüpfen, kann nur vor dem Hintergrund tatsächlicher körperlicher Menschen gesehen werden, die zwar losgelöst im Cyberspace zu schweben scheinen, aber nur durch ihre körperliche Fundiertheit in der Welt auch virtuell überhaupt erst in Verbindung mit anderen treten können.

Von einer Entkörperlichung, oder Befreiung vom Körper durch die dem Cyberspace eigenen Erfahrungsmodi kann also nicht gesprochen werden.

Gibson: Neuromancer. 1984

Heim: The Metaphysics of Virtual Reality. Oxford University Press. 1993

Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung. Walter de Gruyter. 1966.

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