Netz

Die Netzmetapher bei Nietzsche und Adorno

Das Netz ist ein stark frequentiertes Wort. Ob Netzwerk, Netzwelt oder Vernetzung - der Netzbegriff scheint allgegenwärtig und charakteristisch für unsere Gegenwart zu sein. Während das Netz oft als synonymische Bezeichnung für das Internet verwendet wird, bleibt der Begriff immer auch Metapher und Bild. Die Netzmetapher findet sich in sämtlichen Epochen, bei Homer sowie im gegenwärtigen Kontext der Computerisierung, wieder. Auch in der Philosophie wird die Netzmetapher immer wieder verwendet, um mit ihr verschiedene Gedanken und Überlegungen zu verbildlichen (vgl. Martens 1991. S. 10).
Im Folgenden soll nun betrachtet werden wie Friedrich Nietzsche und Theodor W. Adorno die Metapher des Netzes in einzelnen Fällen gebrauchen. Bei beiden Philosophen taucht die Metapher im Zuge einer Vernunft- und Gesellschaftskritik auf. Während die Kritik des einen in enger Verbindung zu der beginnenden Technisierung und Verwissenschaftlichung im 19. Jahrhundert steht, bezieht sich die Kritik des anderen auf die verwaltete und technisierte Welt des Spätkapitalismus im 20. Jahrhundert. Inwiefern kann man die Verwendung der Netzmetapher bei Nietzsche und Adorno auf das 21. Jahrhundert und die Erscheinung des Internets beziehen?
„[…] für dein Leben gibt es keine Stützen mehr, nur noch Spinnefäden, die jeder neue Griff deiner Erkenntnis auseinanderreißt“ schreibt Nietzsche über den modernen Menschen (Nietzsche [Fröhliche Wissenschaft] Aphorismus 366). Damit beschreibt er einen Lebenszustand, dem jegliches Fundament entzogen wurde. Den einzigen Halt bietet noch ein Netz, ein Spinnennetz, das jedoch durch fortschreitende Erkenntnis zu zerreißen droht. Welcher Prozess hat zu diesem Zustand geführt? Nietzsche konstatiert, dass die Menschen zum Teil eine ganze Welt aus ihrem Erkenntnisvermögen „herausspinnen“ und die Welt dennoch nicht als etwas Gewordenes, Konstruiertes begreifen (vgl. Nietzsche [Menschliches, Allzumenschliches] 1973. S. 448). Fortwährend erschaffen sie mittels der Sprache subjektive Konstrukte, bilden Konventionen und abstrakte Begriffe. Dabei geht es nicht, wie vordergründig behauptet wird, darum die Wahrheit der Dinge zu erkennen, sondern darum, das Überleben zu sichern. In der Angst von den unzähligen Eindrücken der Welt überschwemmt und „fortgerissen zu werden“, verallgemeinert der Mensch seine Anschauungen und subsumiert diese unter Begriffe (Nietzsche [Über Lüge und Wahrheit…] 1988. S. 881). Jene Begriffe bilden die Dinge jedoch nicht adäquat ab, sondern entsprechen dem menschlichen Ordnungsbedürfnis, dem Drang zu schematisieren und zu vereinfachen: „Das Uebersehen des Individuellen und Wirklichen giebt uns den Begriff“ (ebd. S. 880). Wegen seines Bedürfnisses nach Sicherheit schafft der Mensch ein schützendes Gebilde aus Begriffen: „Man darf hier den Menschen wohl bewundern als ein gewaltiges Baugenie, dem auf beweglichen Fundamenten und gleichsam auf fliessendem Wasser das Aufthürmen eines unendlich complicirten Begriffsdomes gelingt; freilich, um auf solchen Fundamenten halt zu finden, muss es ein Bau, wie aus Spinnefäden sein, so zart, um von der Welle mit fortgetragen, so fest, um nicht von den dem Winde auseinander geblasen zu werden“ (ebd. S. 882). Mithilfe der Sprache webt der Mensch also ein begriffliches Netz, das er über die fließenden Erscheinungen der Welt legt. Aufgrund der Logik und Detailliertheit des Netzes, können innerhalb dieses bestimmte Schlüsse gezogen werden, die wiederum Orientierung und Halt geben. Gleichzeitig ist das Netz so flexibel, dass es immer wieder angepasst und modelliert werden kann.
Mehr und mehr ist nun der Bau des Sprach-Netzes zu einer Arbeit der Wissenschaft geworden. Dabei täuscht sich der Mensch darüber hinweg, dass er die Sprache, mit der etwas erkannt werden soll, selbst hervorgebracht hat.
Nur die konstruierten Begriffe und Wahrheiten innerhalb des Sprach-Netzes sind erkennbar, nicht aber die Dinge an sich, außerhalb des Netzes. Außerdem ist die Bewegung im Netz in gewisser Weise vordefiniert und nicht vollkommen frei (vgl. ebd. S. 883). Mit dem Voranschreiten des Begriffsbaus, mit dem Ausdifferenzieren der Wissenschaften erfolgt das „unermüdliche Zerspinnen und Historisieren alles Gewordenen durch den modernen Menschen, die große Kreuz-Spinne im Knoten des Weltall-Netzes“ (Nietzsche [Vom Nutzen und Nachteil…] 1999. S. 267). Immer feinere Maschen werden im Netz geknüpft, der Begriffsbau wird immer höher und der sich darauf Befindende entfernt sich zunehmend vom Boden. Jener Prozess verbindet sich mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Nietzsche kritisiert diese Vorherrschaft der Vernunft im Leben des modernen Menschen: „Dein Wissen vollendet nicht die Natur, sondern tötet nur deine eigene. Miß nur einmal deine Höhe als Wissender an deiner Tiefe als Könnender. Freilich kletterst du an den Sonnenstrahlen des Wissens aufwärts zum Himmel, aber auch abwärts zum Chaos. Deine Art zu gehen, nämlich als Wissender zu klettern, ist dein Verhängnis; Grund und Boden weicht ins Ungewisse für dich zurück“ (Nietzsche [Fröhliche Wissenschaft] Aphorismus 366). Diesem Zitat wie auch dem Eingangszitat zufolge, geht Nietzsche also davon aus, dass der Mensch sich letztendlich in seinem selbst gesponnen Netz verfängt und verstrickt.
Auch Adorno verfolgt mit dem Gebrauch der Netzmetapher eine Vernunftkritik; jedoch mit einer ganz anderen Ausrichtung. Während Nietzsche aus einer antidemokratischen und elitären Haltung heraus argumentiert und die Kunst sowie den Übermenschen als Ausweg aus dem Vernunft-Netz betrachtet, richtet sich Adornos Kritik gegen die Unfreiheit in der „verwalteten Welt“ (vgl. Martens 1991 S. 81). Sich gegen den Positivismus wendend, meint Adorno, dass die existierenden „Begriffsgespinste“ die Machtverhältnisse widerspiegeln und sich über das gesellschaftliche Leben legen. Wie Nietzsche spricht er von einem den Menschen einschließenden Netz: „Man kann von Klaustrophobie der Menschheit in der verwalteten Welt reden, einem Gefühl des Eingesperrtseins in einem durch und durch vergesellschafteten, netzhaft dicht gesponnenen Zusammenhang. Je dichter das Netz, desto mehr will man heraus, während gerade seine Dichte verwehrt, daß man heraus kann.“ (Adorno [Erziehung nach Auschwitz] 1969. S. 87). Adorno beschreibt also die gesellschaftlichen Verhältnisse als eine Ordnung, in der, einem dichten Netz gleich, Prinzipien wie das des Warentauschs oder der Organisation eng ineinander greifen, sodass keine Normabweichungen möglich sind. Das Netz folgt einer Logik der Identitäten, der sich das Ungleiche unter der Prämisse der Strukturerfüllung anpassen muss. Verdinglichung, Klassifikationen, Standardisierung und Begriffsraster formieren alles Individuelle unter sich und gliedern dieses ein (vgl. Martens 1991. S. 81). Dementsprechend geht Adorno davon aus, dass die Welt bzw. die Natur von einem „Netz des von Menschen gemachten überzogen wird“ (Adorno [Minima Moralia] 1985. S. 205). In Analogie zu Nietzsche bemerkt er, dass die Menschen dieses Netz als etwas Gegebenes und nicht als etwas Gewordenes betrachten. Damit wird dieses Phänomenen als absolut und unveränderlich gesetzt sowie die Wirklichkeitsverhältnisse verschoben. Indem das System auf die netzhafte Ordnung eingestimmte Menschen hervor bringt, reproduziert es sich selbst (vgl. Adorno 1969. S. 96).
Wenn Adorno jedoch schreibt „Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg“ (Adorno 1985), dann handelt es sich nicht um eine vollkommen aussichtslose Situation. Vielmehr ist gemeint, dass man immer schon in Machtverhältnisse und bestimmte Strukturen verstrickt ist, man sich immer in einem Netz befindet. Trotzdem ist es möglich mithilfe alternativer, abweichender Formen, die engen Maschen des Netzes etwas zu lösen (vgl. Martens 1991 S. 84).
Vergleicht man Nietzsches und Adornos Verwendung der Netzmetapher miteinander, fallen einige Parallelen auf: Beide sprechen im Zuge einer Vernunft- Wissenschafts- und Technikkritik von einem Netz, selbst vom Menschen hervorgebracht, das sich über die Natur legt und so einen abstrakten Raum schafft. Durch die Verfeinerung des Netzes verliert der Mensch immer mehr den Bezug zum Boden. Es besteht die Gefahr, dass sich das Netz verselbständigt und sich der Mensch in der Unüberschaubarkeit verliert und verfängt.
Obwohl es sich im Vorangegangenen um Begriffsnetze und um die verwaltete Welt handelt, lassen sich diese Charakteristika gut auf das Internet übertragen. Ausgehend von den technischen Erkenntnissen hat sich ein neues Netz bzw. ein Fortsatz gebildet, der sich in ähnlich abstrakter Weise über die Dinge legt. Aber gehorcht das Internet einer ähnlich starren Logik wie sie die erläuterten Netzkonzepte konstatieren? Erzeugt es ein ebenso klaustrophobisches Gefühl? Könnte man das Internet als eine Intensivierung des Netzes im Sinne Nietzsches und Adornos betrachten?
Und wie lassen sich die Parallelen der Verwendung der Netzmetapher interpretieren? Was bedeutet es, dass die vor dem Aufkommen des Internets verwendete Metapher bei Adorno und Nietzsche so gut übertragbar ist?
Lakoff und Johnson gehen davon aus, dass wir in Metaphern leben, dass Metaphern sich bedingt durch unsere Lebensumstände bilden und sich in ihnen unsere Denk- und Handlungsweisen wiederspiegeln (vgl. Lakoff/ Johnson 1980).
Wenn also die Netzmetapher bezogen auf das abstrakte Begriffsnetz, auf die verwaltete Welt und auf das Internet ähnlich zu konnotieren ist, was sagt dies über unsere Lebensumstände aus?
Leben wir in einer Welt, die ihr Netz immer weiter, immer detaillierter ausspinnt und die immer mehr selbst zum Netz wird?


Dieser Text stützt sich im Wesentlichen auf folgendes Buch:
Martens, Ekkehard: Der Faden der Ariadne. Über kreatives Denken und Handeln. Stuttgart 1991.

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