Cyberwar - zwischen Cyberspace und Realität.

„Cyberwar ist ein Kofferwort aus den englischen Wörtern Cyberspace und War und bedeutet zum einen die kriegerische Auseinandersetzung im und um den virtuellen Raum mit Mitteln vorwiegend aus dem Bereich der Informationstechnik. Zum anderen sind damit die hochtechnisierten Formen des Krieges im Informationszeitalter gemeint, die auf einer weitgehenden Computerisierung, Elektronisierung und Vernetzung fast aller militärischer Bereiche und Belange basieren“
So lautet die Definition von „Cyberwar“ bei Wikipedia. Im Zuge der Verhaftung von Wikileaks-Gründer Julien Assange hat sich eine neue Form des Cyberwars gebildet. Erkenntnisleitend für die folgende Darstellung ist zum einem die Frage, wodurch sich dieser neue Cyberwar auszeichnet und ferner, ob eine Verbindung zwischen diesen Kriegsaktivitäten im Cyberspace und der Realität besteht.

Lassen wir noch einmal die Situation nach dem Enthüllungsskandal durch Wikileaks rekapitulieren: Diverse Firmen, z.B. Mastercard, Visa, Amazon, Moneybookers und Paypal, kündigten die Zusammenarbeit mit Wikileaks, blockierten insbesondere Konten und Speicherplatz, strichen Internetadressen und verhinderten somit die Zustellung von Spendengeldern. Die Netzgemeinde fühlte sich hierdurch persönlich angegriffen. In der 1996 von John Perry Barlow mit verfassten Unabhängigkeitserklärung des Cyberspaces steht: „Ich erkläre den globalen sozialen Raum, den wir errichten, als gänzlich unabhängig von der Tyrannei, die Ihr über uns auszuüben anstrebt. Ihr habt hier kein moralisches Recht zu regieren, noch besitzt ihr Methoden, es zu erzwingen, die wir zu fürchten hätten.“. Der Nerv der Community wurde getroffen. Schnell machten sich im Netz Aufrufe zum Kampf gegen die genannten Firmen breit. „Der erste echte Info-Krieg ist nun ausgebrochen. Das Schlachtfeld ist Wikileaks. Ihr seid die Truppen.“ resümiert John Perry Barlow auf Twitter.
Wie schon in weiteren Fällen, wurde die Schnelligkeit und die Leichtigkeit der Informationsverteilung im Internet unterschätzt (dies war jüngst beispielsweise auch bei den Protesten um Stuttgart 21 der Fall, schnell konnten die Organisatoren über Twitter, Facebook und Co. reagieren, als überraschend die Bauarbeiten anfingen; innerhalb kurzer Zeit, waren etliche Demonstranten mobilisiert).
In diversen Foren, Chaträumen und Blogs erfolgte tagelang der Austausch über die ersten Kampfziele; eine der Operationen nennt sich „Payback“. Um einen Server wie den von Paypal erfolgreich anzugreifen, braucht es nicht mehr viel: einen gemeinsamen Zeitpunkt, die Zielkoordinaten und jede Menge Datenmüll aus Nullen und Einsen, die zu einer festgelegten Zieladresse geschickt werden. Beteiligen sich genügend Leute an solchen Aktionen, so ist es kein Kunststück, den betroffenen Server für mehrere Stunden außer Gefecht zu setzen. Daten- oder Informationsklau erfolgt dabei übrigens nicht. Im Fall von Paypal hatte sich die Attacke nach wenigen Minuten in der ganzen Welt herumgesprochen, von überall her, von diversen Computern, Handys, aus Firmen, aus Kinderzimmern und Internetcafés, wurde die Internetseite mit Daten „beschossen“. Nach nur wenigen Minuten konnten die Teilnehmer ihren „Sieg“ verkündigen – der Internetauftritt von Paypal fiel für mehrere Stunden komplett aus. Mit den gleichen Problemen sahen sich ein Schweizer Postfinance sowie weitere Kredit- Bankinstitute (s.o.), einzelne Personen, die sich öffentlich gegen Wikileaks gestellt hatten (Joe Lieberman, Sarah Palin) und die schwedische Staatsanwaltschaft, aufgrund ihrer Vermittlungen gegen Assange, konfrontiert.

Wie funktioniert dieser neue Cyberkrieg?
Die benutzte „Waffe“ ist eine Art Ionen-Kanone namens Low Orbit Ion Canon (LOIC). Das ist ein Programm, welches weltweit von jedermann genutzt werden kann. In der Entwicklung des Cyberwars ist dies enorm wichtig, konnten bisher nur Fachleute mit Programmierkenntnissen „Angriffe“ ausführen. Ohne das einfache Programm, wären solche Massendatenangriffe überhaupt nicht möglich. Wer einen Browser bedienen kann, kann fortan bei solchen „Attacken“ mitwirken. Um die Datenmassen abzuschicken, braucht man lediglich die Internetadresse des Zielrechners in ein Eingabefeld des Programms zu tippen (z.B. www.paypal.com Port: 443). In einem vorher festgelegten Umfang schickt der Rechner nun sekündlich Daten an die Zieladresse. Wem dies noch zu kompliziert ist, der kann sich auch einem „Hivemind“ unterordnen, die Steuerung wird dann zentral vorgenommen. Es war folglich noch nie leichter, einen „Angriff“ gegen einen Server durchzuführen, die Firmen hingegen haben kaum Möglichkeiten diese abzuwehren. Man könne höchstens kurzfristig die Leitungs- und Serverkapazitäten erhöhen, doch dies sei kostspielig und je nach Masse der Angriffe immer noch aussichtslos.

Warum spricht man eigentlich von Krieg?
Zwischen dem Cyberwar und dem Krieg in der Realität, scheint es auf den ersten Blick überhaupt keine Zusammenhänge zu geben. Warum spricht man dann eigentlich von einem Krieg? Einen Krieg verbindet man intuitiv mit Toten, Kämpfen, Waffen, Angriff, Verteidigung usw.. Auch wenn der Cyberwar (im Space) sicherlich keine Toten fordern wird, so ist es doch auffällig, dass man automatisch (das bisher von mir in Anführungszeichen gesetzte) Kriegsvokabular verwendet – und auch die Hacker selber berufen sich auf dieses Jargon wenn sie ihrer Attacken starten (z.B. „Feuer“, „Sieg“, „schießen“ etc). Ziel ist es schließlich, jemanden außer Gefecht zu setzen, jemandem zu schaden. Interessant ist es nun, eine Definition von (realem) Krieg hinzu zu ziehen:
„Krieg ist ein organisierter und unter Einsatz erheblicher Mittel mit Waffen und Gewalt ausgetragener Konflikt, an dem mehrere planmäßig vorgehende Kollektive beteiligt sind. Ziel der beteiligten Kollektive ist es, den Konflikt durch gewaltsame Kämpfe und Erreichen einer Überlegenheit zu lösen. Die dazu stattfindenden Gewalthandlungen greifen gezielt die körperliche Unversehrtheit gegnerischer Individuen an und führen so zu Tod und Verletzung. Krieg schadet so auch der Infrastruktur und den Lebensgrundlagen der Kollektive. Kriegsformen sind vielfältig und nicht unbedingt an Staaten oder Staatssysteme gebunden: Sie können auch innerhalb von Staaten stattfinden, etwa als Bürgerkrieg, Unabhängigkeitskrieg oder bewaffneter Konflikt, und zum Weltkrieg oder zum Völkermord führen.“ (Quelle Wikipedia)
Bis auf die Tatsache, dass ein Krieg in der Realität auf körperliche Schäden und Tod abzielt, scheinen der Cyberwar und der reale Krieg, eine ähnliche Definition zu teilen. Bleiben die Kämpfe im Space, so hat der einzelne nichts zu befürchten. Das schlimmste, was demnach derzeitig passieren könnte, ist dass sich diese Datenkämpfe so stark ausweiten, dass sie das Internet überlasten und es somit nicht mehr nutzbar ist.

Gibt es in diesem Kontext einen Zusammenhang zwischen Cyberspace und Realität?
Die Antwort der Cyberspace-Community wäre in diesem Fall sicherlich eindeutig nein – wirft man einen Blick auf deren Unabhängigkeitserklärung. Das Cyberspace wird hier als ein sozial und global für sich stehenden Raum definiert, in dem „weltliche Gesetze“ keine Macht oder Befugnisse haben, und Staaten somit keine Legitimation, Konsequenzen aus im Space geschehenem zu ziehen. Laut deutschem Gesetz beispielsweise, ist die Beteiligung an solchen Attacken und Hacking im Allgemeinen jedoch illegal. Trotzdem ergeben sich in der Realität diverse Probleme. Wie bestraft man jemanden, der Nullen und Einsen an einen Server schickt? Ist das wirklich mit Sabotage (in der Realität bedeutete dies beispielsweise, etwas zu verschmutzen, oder in Brand zu stecken) gleichzusetzen? In wie weit ist virtuelles Verhalten strafbar? Wie ortet man die Teilnehmer und gibt es Länder oder global definierte Strafen? Wen bestraft man, wenn eine solche Attacke von einem Internetcafé oder sonstigem öffentlichen Platz ausgeht? Lässt sich eine solche Massenbewegung wirklich jemals niederschlagen? Ständig kommen und gehen neue User in die Chaträume, diskutieren über immer weitere Opfer (weniger über den Sinn der Attacken) und machen die ganze Aktion somit völlig unberechenbar. Es scheint einzig und allein klar, dass dieser Krieg gerade erst begonnen hat.
Doch es gibt auch Fälle, in denen sich Aktivitäten im Netz auf die Realität ausgewirkt haben. Ein einzelner User bekannte sich erst kürzlich gegen die als „Anonymous“ bekannte Datenkanonen-Bewegung, und gab seinerseits an, Daten gegen Wikileaks verschickt zu haben. Umgehend recherchierten die Hacker von Anonymous seine Adresse und persönliche Daten und veröffentlichten diese im Internet. Dieser Aktivist sollte sich nun auch in der Realität in Acht nehmen, immerhin forderte die einflussreiche Hackergemeinde dazu auf, „ihm ordentlich in den Arsch zu treten“.
Bei einem weiteren Fall wurden einem US-Soldaten seine Aktivitäten im Space auch in der Realität zum Verhängnis. Er hatte sich dabei filmen lassen, wie er ein Hundebaby eine Klippe hinab warf, er erhielt nach Publikation dieses abartigen Filmes im Netz nicht nur diverse Morddrohungen, sondern verlor Job, Freunde und Respekt in der Realität.
Wie sich dieser Cyberwar entwickelt, wird in der näheren Zukunft zu beobachten sein. Ob und inwiefern eine Verknüpfung zwischen Space und Realität entsteht, ist bisher noch nicht abzusehen. Deutlich scheint jedoch, dass sich „weltliche“ Zusammenhänge (wie zum Beispiel das Kriegsvokabular) auf das Netz auswirken und andersherum, also eine Interaktion der beiden Bereiche besteht. Man kann diesbezüglich nur hoffen, dass der aktuelle Netzkrieg ein solcher bleibt, und sich nicht eines Tages auf die reale Welt ausbreitet.

Die Informationen stammen aus: Liedtke, Dirk/ Mondial, Sebastian: Affäre Wikileaks. Der Hacker-Krieg im Netz, in: stern, Ausgabe 51/ 2001, S.48-54.

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