Die inflationäre Information

Lieber Leser (1), in diesem Blogeintrag wird es sich um Information drehen. „Aha“, könntest du mir jetzt antworten und weiter die Seite runterscrollen, ohne weiterzulesen, wie du es bisher bei allen anderen Einträgen auch getan hast. Denn du befindest dich im Internet und wirst von allen Seiten dichtgeballert (ein modisches, umgangssprachliches Wort, das an einen Kriegsähnlichen Zustand erinnert) mit Informationen. Ob es nun der blinkende Banner an der rechten Bildschirmseite ist (den es auf diesem Blog immerhin nicht gibt), das im Hintergrund offene Facebook, die aufleuchtende Nachricht zur Ankündigung neuer E-Mails oder die über YouTube laufende Musik. Informationen über Informationen die auf dich einprasseln, die du konsumierst und die dich davon abhalten hier zu verweilen und diesen oder den nächsten Text zu lesen (nicht zu überfliegen). Aber, so frage ich dich, lieber Leser, was sind denn das für Informationen? Und möchte im gleichen Moment eine These aufstellen: Du unterliegst einem inflationären (noch so ein schickes Modewort) Gebrauch des Wortes Information. Das klingt als ob es jetzt theoretischer wird, und ja, so ist es auch.

Wörtlich übersetzt aus dem lateinischen ist Inflation „das Anschwellen“. Inflation ist heute ein Fachbegriff aus der Wirtschaft, genauer gesagt, der Volkswirtschaftslehre, weshalb es natürlich um das Anschwellen von Geld respektive der Geldmenge geht. Mit dem Begriff ist gleichzeitig immer mitgedacht, dass die Gütermenge stagniert oder zumindest nicht im gleichen Maße wie die Geldmenge ansteigt. Dadurch ändert sich also das Verhältnis zwischen der als Zwischentauschmittel gedachten Geldmenge und der Gütermenge, was einen Werteverlust des Geldes bedeutet. Dieser Zusammenhang lässt sich auf andere Phänomene übertragen, wofür das Wort „inflationär“ aufgekommen ist, welches sich laut Definition als Attribut für etwas verwenden lässt, was mit den Merkmalen der Inflation behaftet ist.

Für die inflationäre Information würde das einen extremen Anstieg in der Nutzungsfrequenz des Wortes einhergehend mit einem Sinnesverlust bedeuten.

Das Wort Information findet seinen Ursprung im lateinischen informare, das so viel heißt wie „gestalten, formen, bilden“. In seiner übertragenen Bedeutung („durch Unterweisung bilden, befähigen, unterrichten“) gelangt das Wort in das Spätmittelhochdeutsche. Während des 15. und 16. Jahrhunderts wandelt sich die Bedeutung weiter hin zum übertragenen „Auskunft geben" und „Benachrichtigen“. Dabei bleibt ein Anklang zum Unterrichtenden, Bildenden erhalten. So wird der Hauslehrer noch bis ins 19. Jahrhundert als „Informator“ bezeichnet. Ende des 19. Jahrhunderts wird der Begriff vor allem von Zeitungen genutzt, die mit ihren Nachrichten und Meldungen „informieren“. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird der Informationsbegriff dann von verschiedenen Wissenschaften aufgegriffen und in die verschiedensten Theorien eingebau, wobei er eine wesentliche Änderung erfährt. Nämlich durch die Annexion des Begriffes in die Informationstheorie. Die Informationstheorie stammt aus der Mathematik, ist dem Bereich der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Statistik zuzuordnen und gilt als Wegbereiter von Theorien zur Datenübertragung. Die Information wird hier plötzlich zu einem technischen Begriff.

Fragt man nach, ab wann eine Information eine Information ist, was sowohl in der Erkenntnistheorie als auch in der Informationstheorie geschieht, wird einem bewusst, was für ein fundamentales, neuzeitliches Problem hier auftaucht: Für einen Empfänger sind Daten dann eine Information, wenn er sie entschlüsseln kann. Für einen Erkenntnistheoretiker respektive einen Philosophen, ist der Empfänger aber ein Mensch, für den Informationstheoretiker kann der Empfänger auch eine Maschine sein. Beim Menschen aber ist die Entschlüsselung von Daten, ist die Frage danach, was er als Information aufnimmt, ungleich Komplexer als bei einer Maschine. Für eine Maschine ist eine Null oder eine Eins schon eine Information. Für eine Maschine ist eine Information zu hundert Prozent reproduzierbar.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt die Nutzungsfrequenz des Wortes Information stark und die beiden unterschiedlichen Kategorien der Information geraten gänzlich durcheinander. Denn durch moderne Technik erhält die Neurobiologie einen ungeahnten Aufschwung. Man kann plötzlich dem Gehirn bei seiner Arbeit zuschauen. Es entsteht die Idee, ein maschinelles Gehirn zu bauen, denn das Gehirn scheint sich nicht wesentlich von einem Computer zu unterscheiden: die Neuronen geben doch über chemische und dann wieder in elektronisch umgewandelte Impulse nur Informationen weiter. Diese euphorischen Vorstellungen von einer baldigen künstlichen Intelligenz verschwinden zwar relativ schnell wieder, doch die Vorstellungen von einer technischen Funktionsweise des Menschen bleiben, während das Vertrauen in eine Jahrhunderte lange Forschung, die der Philosophie nämlich, über die Informationsaufnahme und Weitergabe des Menschen (Erkenntnistheorie) schwindet.

Um ein Beispiel zu geben: Kürzlich erschien ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung (am 11.02.11 Seite 18, Link zur Onlinefassung siehe unten) über die Studie eines Forscherteams, das glaubt, eine Bilanz über den Informationszuwachs der letzten 25 Jahre erstellt zu haben. Doch auch wenn am Rande von einem der Forscher angesprochen wird, dass Informationen etwas sind, „was bei einem Menschen ankommt“, vertritt der Artikel eine rein technische Vorstellung von Information. Es wird ein Vergleich aufgestellt zwischen einer Büchermenge die mit 13 Bänden übereinander die gesamte Fläche Chinas bedeckt und die 2007 existierende digitale Datenmenge widerspiegeln soll. Aber was sind das für Informationen, die da miteinander verglichen werden? Stecken in solch einer Menge Bücher die gleichen Informationen, wie auf den gesammelten Festplatten, auf denen neben E-Books auch Musik, Filme, Fotos und andere Texte enthalten sind? Ein Binärcode lässt sich leicht mit einem anderen Vergleichen, er lässt sich exakt kopieren und er lässt sich exakt als Einheit definieren. Möchte man allerdings definieren, was eine Information für einen Menschen bedeutet, schließen sich ganz andere Fragen an. Etwa: Wie werden bei uns Informationen gespeichert? Was bedeutet vergessen in diesem Kontext? Und was machen wir mit den Informationen? Wie gelangen wir zu Wissen und Erkenntnis mit den Informationen? All diese Fragen scheinen Ausgeblendet in dem erwähnten Artikel wie überhaupt in unserem „Informationszeitalter“. Jeder einzelne Buchstabe auf dieser Seite besteht aus acht Binärcodes, aus einem Byte. Jeder Buchstabe besteht für den Computer aus acht Informationen. Sobald du die Seite aufrufst, wird abgespeichert, dass einmal alle Informationen weitergegeben wurden. Aber ob die Seite rezipiert wird, ob jemand (ein Mensch) aus ihr Informationen gewinnt, ist eine ganz andere Frage. Bei solch einem langen Text ist beispielsweise schon eher unwahrscheinlich, dass jemand diese Seite vollständig liest, geschweige denn längerfristige Informationen aus ihnen gewinnt.

Du, lieber Leser, könntest natürlich einen kleinen Gegenbeweis liefern, wenn du bis hierhin durchgehalten hast. Deshalb möchte ich dir auch nicht vorenthalten, was ich dir mit meiner anfänglichen These vorwerfen will. Ich habe gezeigt, dass sich das Verständnis von einer Information gewandelt hat. Der Begriff wird von vielen Wissenschaften genutzt, die aber unterschiedliche Ansprüche an ihn stellen, weshalb er an Kontur verliert. Einher geht das mit einer extrem gestiegenen Nutzungsfrequenz. In den letzten vier Jahren tauchten die Wörter Information, Informationen und informieren rund 50.000 in der Print-Ausgabe der Zeit in den unterschiedlichsten Kontexten auf. Um nun aber das Attribut inflationär auf die Information anwenden zu können, bleibt zu fragen: Bedeutet der Konturverlust des Informationsbegriffes denn auch einen Werteverlust? Oder auch: Was steht der gestiegenen Menge der Verwendung des Begriffes Information an Wert gegenüber?

Geld ist das Zwischentauschmittel für Güter. Versucht man nun im Zuge eines Vergleiches die Information als Zwischentauschmittel zu definieren, so wäre ihr Partner das Wissen. Die Informationen bestehen aus entschlüsselten Sinneswahrnehmungen, diese können sortiert und zugeordnet, vernetzt werden, und wandeln sich so in Wissen um. Das gilt zumindest für den Menschen aus einer erkenntnistheoretischen Argumentation heraus.

Nun ist „das Wissen der Menschheit“ in den letzten Jahren ebenfalls explosionsartig angestiegen, was aber nicht mit dem Wissen eines Menschen zu verwechseln ist. Wir erleben die schon von Georg Simmel beobachtete Arbeitsteilung ins extrem ausdifferenzierte getrieben, weshalb das Gesamtwissen, auf welches theoretisch zurückgegriffen werden kann, steigt, das Wissen insbesondere das Allgemeinwissen des Einzelnen aber abnimmt. Wir nehmen zwar mehr Informationen, also Sinneswahrnehmungen die wir entschlüsseln können wie Texte und Bilder in Form von Werbeplakaten, Fernsehern, Zeitungen, Büchern etc., denn je in einer modernen Mediengesellschaft auf, die wenigsten davon entsprechen allerdings Informationen, die einen längerfristigen Wert haben und somit als Allgemeinwissen betrachtet werden können. Es scheint so, dass wir tatsächlich mit Informationen zugeballert werden; mit Werbung beispielsweise die bewusst versucht, unsere Aufmerksamkeit zu wecken, und uns Informationen zu übermitteln. Deshalb müssen wir zwangsläufig mehr Informationen aufnehmen, von denen viele unnütz sind oder nur einen sehr kurzen Nutzen haben, bevor wir zu einem längerfristigen Wissen gelangen.

Deshalb, lieber Leser, unterliegst du der inflationären Information.


(1)An alle Gendering-Beauftragten dieser Welt: Mit der in diesem Artikel verwendeten maskulinen Anrede des Lesers sind selbstverständlich auch die Leserinnen gemeint.

Link zu dem Artikel der Süddeutschen Zeitung: http://www.sueddeutsche.de/digital/datenwachstum-der-digitalisierten-welt-explosion-des-cyberspace-1.1058394

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