Webwissenschaften

Das Internet hat sich als Massenmedium längst vollständig in der heutigen Gesellschaft etabliert. Aus dem täglichen Leben verschiedener Kulturen ist es nicht mehr wegzudenken, da es uns als gigantische Wissensmaschine bei jeglichen Fragen zuverlässig zur Seite steht. Wir nutzen es täglich – zur Informationsbeschaffung, Kommunikation, zum Online - Banking, Shopping. In den meisten Fällen führt es uns per Knopfdruck schnell und unkompliziert zu dem gewünschten Ergebnis. Das Internet ist in unserer heutigen Gesellschaft und im Zuge der Globalisierung zu einem ebenso wichtigen und selbstverständlichen Kommunikationsmittel geworden wie es das Telefon war und auch heute noch ist. Das Web hat sich zu einem Medium entwickelt, welches aufgrund seiner Vielseitigkeit in seiner Bedeutung für die Entwicklung der heutigen Gesellschaft nicht zu unterschätzen ist. Aus mediengeschichtlicher Perspektive ist die Entwicklung des Webs wohl nur vergleichbar mit der des Buchdrucks. Mitte des 15. Jahrhunderts gelang es Johannes Gutenberg mit seiner bahnbrechenden Idee für eine der unentbehrlichsten Errungenschaften in der Geschichte zu sorgen. Der Buchdruck bildete einen bedeutenden kulturhistorischen Einschnitt und gilt bis heute als Meilenstein in der Informationsverarbeitung. Einen mindestens ebenso prägenden Entwicklungssprung in der Mediengeschichte, mit erheblichen Auswirkungen auf die Gesellschaft, erleben wir derzeit mit dem World Wide Web. Die Zukunft prophezeit eine zunehmende gesellschaftliche Abhängigkeit vom Web, beispielsweise im Segment der Ökonomie. Daher ist es wenig verwunderlich, dass die Forderungen nach einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, den Webwissenschaften, laut werden.

Im August des Jahres 2006 forderte der Entwickler des Internets, Tim Berners-Lee in dem Artikel „Creating a Science of the Web“, erschienen in der Zeitschrift „Science“, die Etablierung einer das World Wide Web fokussierenden, eigenständigen Disziplin. Unterstützt wurde dieses Anliegen von zahlreichen anderen Wissenschaftlern. Ausgehend von dieser Initialzündung für die Ausdifferenzierung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin, soll im Folgenden erörtert werden, welche inhaltlichen Schwerpunkte diese neue Disziplin beinhalten wird.

Die zügige Entwicklung des Internets seit etwa Mitte der 1990er Jahre war in erster Linie von technischen Innovationen geprägt. Durch die massenhafte sowie bevölkerungsübergreifende Nutzung des Webs, wurden jedoch schnell neue Fragen aufgeworfen, die einer Klärung bedürfen. Wie sieht es mit den Strukturen, der Bewertung, der Einordnung, der Medienwirkung, der Medienkonvergenz und der Medienentwicklung des World Wide Web aus? Die Aufgabe der Medien- und Kommunikationswissenschaftler ist es folglich, nicht nur spezifisch in ihren Teildisziplinen, wie z. B. Medienwirkungsforschung, Medienpsychologie, Medienrecht und Medienpolitik, auf die Expandierung des vielversprechenden Online-Mediums zu reagieren, sondern über diesen Rahmen hinaus grundsätzliche Fragen der Kommunikation und Rezeption zu klären. Zudem wird auf die Frage nach den Chancen und Potenzialen des World Wide Webs, die vorrangig die Entwicklung des Mediums betreffen, eingegangen. Die Etablierung einer Webwissenschaft und ein differenzierter Blick auf das neue Medium Internet können Schritte in diese Richtung bedeuten. Auf Grundlage und unter Einbeziehung medien- und kommunikationswissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse gilt es folglich einen eigenständigen, webwissenschaftlichen Ansatz zu entwickeln.

Die Webwissenschaft wird voraussichtlich eine interdisziplinäre Struktur aufweisen, sich somit nicht nur starr an dem Repertoire der Medien- und Kommunikationswissenschaften orientieren. Über die technische Weiterentwicklung des Webs hinaus, sollen ökonomische, rechtliche und vor allem soziologische Dimensionen seiner Nutzung in der Disziplin thematisiert werden. Ebenfalls bedient werden philosophische und medienethische Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem World Wide Web stellen und nach einer Klärung verlangen. Resultierend aus dieser Darstellung, wird sich eine Wissenschaft entwickeln, die sich aus circa acht klassischen Disziplinen zusammensetzt. Es werden Elemente der Medien- und Kommunikationswissenschaften, Rechtswissenschaften, Ökonomie, Soziologie, Computertechnologie, Philosophie, Kunst und Kulturwissenschaften in den Webwissenschaften vereint sein. Die Interdisziplinarität verspricht eine umfangreiche Beschäftigung mit dem Medium Internet und sorgt für ein fächerübergreifendes Verständnis der zukünftigen Studierenden für die Materie dieses Fachs.

Über die theoretische Dimension hinaus wird es ergänzend zu der Existenz einer angewandten Form der Webwissenschaften kommen. Hier wird der Fokus auf die konkrete Weiterentwicklung des Webdesigns, der Content-Produktion, des Retrieval, der Navigation und der Usability gelegt. Somit entsteht neben dem theoriegeleiteten Ansatz der Webwissenschaften ein Zweig, der die praktischen Aspekte dieses Gebiets thematisiert.

Vor dem Hintergrund der massenhaften, gesellschaftlichen Verwendung des World Wide Webs, zum Beispiel als Instrument der Selbstdarstellung, als Wissensmaschine, die auf Knopfdruck jegliche Informationen preisgibt oder als Ort für den Aufbau eines zweiten virtuellen Lebens („Second Life“), wird eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik geradezu unumgänglich. Die Johannes Kepler Universität in Linz hat die Dringlichkeit erkannt und nimmt daher weltweit eine Vorreiterposition in Bezug auf die Etablierung einer Webwissenschaft ein. Bereits ab dem Wintersemester 2011/2012 wird es hier qualifizierten und interessierten Personen ermöglicht den Master of Science in den Webwissenschaften zu erlangen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.