Digital Natives?

Jugendkulturen sind Räume, in denen unterschiedliche Prozesse der Selbstdarstellung, Identitätsfindung und sozialen Interaktion innerhalb von Gemeinschaften stattfinden. [1]
Ob die Rolle des Internets für die Jugendkulturen „Kernelement oder Begleiterscheinung“[2] ist, ist abhängig von den Anwendungsmöglichkeiten, die das Netz für das Bestehen und die Entwicklung der jeweiligen Gemeinschaft bietet. Aufgrund der Tatsache, dass in der heutigen Zeit jede Jugendkultur unter dem Einfluss des Internets steht, fällt jede der Kulturen auch unter den Begriff der digitalen Jugendkultur.[3]
Mit den partizipativen, kollaborativen Elementen des Internets, dem Web 2.0, steigen die sozialen Interaktionsmöglichkeiten ins Unermessliche.
Das mediale Gegenstück zu den digitalen Medien, wie beispielsweise Computer, Mobiltelefon und Web 2.0, bilden die analogen Medien; beispielsweise Fernsehen, Radio oder Tageszeitung.
Bemerkenswert ist, dass deren unidirektionale Eigenschaft zum einen als Nachteil angesehen wird und einen enormen Rückgang in der Nutzung hervorruft. Gleichzeitig jedoch, bleibt das Fernsehen, eben wegen seiner „Qualität des Nicht-agieren-müssens“[4], in seiner Schlüsselposition bestehen.
Die anderen traditionellen Massenmeiden, wie Radio oder Presse, sinken in ihrem Stellenwert bei Jugendlichen. [5] Zum einen werden die technischen Möglichkeiten der Interaktion, Partizipation und öffentlichen Kritik bemängelt, zum anderen die inhaltliche Thematisierung der Altersklasse selbst. Die Berichterstattung erfolgt in den analogen Massenmedien nur bei besonderen Erfolgen (beispielsweise im sportlichen Bereich), oder wenn die Jugendlichen als Problemgruppe wahrgenommen werden.[6]
Dies erhöht das Misstrauen und die Kritik gegenüber den unidirektionalen Medien wie Presse und Radio.
Was folgt, ist die Suche nach „medialen Alternativen.“[7]
Die große Alternative zur Erfüllung der Bedürfnisse nach der Teilnahme an öffentlichen, beispielsweise politischen oder sozialen Diskursen findet zunehmend im Internet statt. Die Handlungen der Jugendlichen in der Online-Welt zeigen zwei Hauptnutzungsmotive:
Das erste Nutzungsmotiv, das die junge Generation deutlich von den informations-, und kommunikationsorientierten Erwachsenen-Usern absetzt, ist die Unterhaltung. 23% der Tätigkeit im Internet wird für Unterhaltung aufgewendet.[8] Darunter fallen zum Beispiel Musik, Videos oder Bilder. Das zweite Motiv fällt unter den Aspekt der Kommunikation. Mithilfe von Social Networks, wie beispielsweise Facebook oder StudiVZ können Jugendliche ihren sozialen Motiven nachgehen. Hier werden Freundschaften entwickelt und gepflegt, die ihre Basis oder Zukunft in der Offline und Online-Welt haben (können). Durch die ständige Selbstdarstellung findet eine Positionierung, sowie Manifestierung in einer jugendkulturellen Gruppe statt, womit der Prozess der Identitätsfindung stetig heran getrieben wird.
Es stellt sich die Frage nach der entstandenen Natürlichkeit dieses Bedürfnisses der Jugendlichen, nach einer Identitätsfindung und Selbstdarstellung im Internet.
Dies lässt sich durch die Einflüsse der Medien auf die Persönlichkeitsentwicklung erklären. Das Heranwachsen in einer medienbesiedelten Welt führt zu einer angeborenen Medienkompetenz, mit der eine natürliche Wechselwirkung zwischen Subjekt und Medium einhergeht. Somit werden, insbesondere das Mobiltelefon und das Internet, auf natürliche Weise in den Entwicklungsprozess der Jugendlichen integriert.
Diese angeborene Medienkompetenz bildet die Grundlage für den ersten von zwei sozialwissenschaftlichen Diskursen über digitale Jugendkulturen.[9] Er beschreibt die neue Generationsgestalt der „Digital Natives“.[10]
Wie bereits oben geschildert, findet diese Generation, weitgehend abgegrenzt von dem öffentlichen analogen Mediengeschehen, ihre Plattform im Netz.
„Digital Natives“ zeichnen sich durch eine „große emotionale und intellektuelle Offenheit“[11] gegenüber der Online-Welt aus. Die unendlichen Möglichkeiten des Internets haben keine überfordernde Wirkung, sondern rufen neue Kreativität und Innovation hervor. Während durch die unbegrenzte Teilnahmemöglichkeit aller User ein besseres Bewusstsein für die Authentizität dargestellter Inhalte im Netz entsteht, misstrauen die Jugendlichen gleichzeitig den „kommerziell kontrollierten Medienmonopolen.“[12] Durch das natürliche Heranwachsen in der Medienwelt entsteht eine historische Premiere: Erstmals in einer bedeutenden geschichtlichen Neuerung übersteigt die Fähigkeit der Kinder die ihrer Eltern. Die „Digital Natives“ sind schneller und kompetenter in ihrer Umgangsweise mit den Medien, als, die „Digital Immigrants“[13], die Generation vor ihnen.
Der erste Diskurs versucht also ein Gesamtbild einer homogenen Jugendkultur zu zeichnen. In dem die verschiedenen Jugendkulturen durch ihren Umgang mit den digitalen Medien im Internet zu einer Kultur werden.[14]
Die Tragfähigkeit dieses Konzepts ist jedoch erst in der Retroperspektive zu überprüfen.[15]
Der zweite Diskurs sieht von der Bezeichnung der Netz-Generation als solcher ab. Die verschiedenen Richtungen in die sich die Jugendkulturen ausdifferenziert haben, lassen eine homogene digitale Jugendkultur nicht zu.[16] Im Gegenteil hat die Entwicklung der Medien erst zu der kulturellen Vielfalt zugetragen, die sich durch eine Komplexität unterschiedlichster Werteorientierungen auszeichnet. In einem unbegrenzten Raum unendlicher Möglichkeiten ist die Ansichtsweise einer „homogenisierenden Generationsgestalt der Netz-Generation“[17] nicht in der Lage, den individuellen Selbstdarstellungen und jugendkulturellen Eigenheiten nachzukommen, die sich innerhalb der Gemeinschaften abspielen.
Trotz der Vielfalt, Komplexität und Differenzen der Jugendkulturen nennt dieser Diskurs drei strukturelle Gemeinsamkeiten.
Auf Grund der beschriebenen Vielfalt sind diese Gemeinsamkeiten stets im Verhältnis zu ihrer Auslegung in der jeweiligen Kultur zu sehen.[18]
Die erste Gemeinsamkeit beschreibt das Bedürfnis der Jugendlichen nach Intensitätserfahrungen in aktiv mitgestalteten Umgebungen oder Situationen. [19]
Eine weitere Gemeinsamkeit, die in diesem Diskurs beschrieben wird, ist die Subjektivitätserfahrung. Durch strukturelle Anhängigkeiten (sozialer Status, Arbeitsmarkt, Konsum) sind den Handlungsoptionen, trotz gesellschaftlicher Endtraditionalisierungsprozesse, Grenzen gesetzt. [20] Diese können im Internet ansatzweise außer Kraft gesetzt werden, um die „Wirksamkeit des eigenen Handelns zu erfahren.“ [21]
Die letzte strukturelle Gemeinsamkeit digitaler Jugendkulturen liegt in der Suche nach Ganzheitserfahrungen. Mit der Eröffnung eines unmittelbaren Lebensraumes, beispielsweise in den Social Networks, wird das soziale Leben im Netz in das Offline Leben der Jugendlichen integriert.
Trotz der Unterschiedlichkeit der zwei sozialwissenschaftlichen Diskurse, lässt sich eine wichtige Erkenntnis festhalten, die für den Begriff der Identität sehr wichtig ist:
Die Jugendlichen unterscheiden nicht mehr zwischen Online und Offline-Identität. „Virtual Life“ und „Real Life“ der Jugendlichen ergänzen sich zu einem.


Literatur
[1] Hugger, Kai Uwe (2010): Digitale Jugendkulturen, S.7
[2] ebd. S.7
[3] ebd. S.7
[4] ebd. S.8
[5] ebd. S.8
[6] ebd. S.11
[7] Hugger, Kai Uwe (2010): Digitale Jugendkulturen, S. 11
[8] Jim Studie 2010:http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf10/JIM2010.pdf
[9] Hugger, Kai Uwe (2010): Digitale Jugendkulturen, S. 12
[10] Palfrey, John/ Gasser, Urs (2008): Generation Internet. Die Digital Natives: Wie sie leben, was sie denken, wie sie arbeiten, in: Hugger, Kai Uwe (2010): Digitale Jugendkulturen
[11] Hugger, Kai Uwe (2010): Digitale Jugendkulturen, S. 12
[12] ebd. S. 12
[13] ebd. S. 13
[14] ebd. S. 14
[15] ebd. S. 13
[16] ebd. S. 14
[17] ebd. S. 14
[18] ebd. S. 15
[19] Hugger, Kai Uwe (2010): Digitale Jugendkulturen, S. 15
[20] ebd. S. 15
[21] ebd. S. 15

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