Hinzufügen und entfernen – Freundschaft 2.0

- Die neue Begrifflichkeit von Freundschaft und Kontaktaufnahme in Zeiten von Facebook -

Als Twix noch Raider hieß und im Fernsehen nur drei Programme liefen – und ehrlich gesagt auch noch eine ganze Weile danach – brauchte man fürs Kennenlernen vor allem eines: eine ganze Portion Mut. Dies galt sowohl für das Knüpfen neuer Freundschaften als auch für die Suche nach der großen Liebe. Wer einen potentiellen Kandidaten entdeckt hatte, musste mit Geistesgegenwart zu schlagen. Zumindest wenn absehbar war, dass das Aufeinadertreffen mit dem potentiellen Mr. X oder der potentiellen Mrs. Y das Ergebnis einer zufälligen Situation war und keine Wiedersehen in Aussicht stand. Dann galt es Augen zu und durch! Risikovermeider hatten keine Chance. Ohne direkte Ansprache keine Telefonnummer, ohne Telefonnummer kein Kennenlernen, ohne Kennenlernen keine große Liebe. Noch nicht mal Freundschaft war so zu machen.

Heute schon. Man nehme einfach einen internetfähigen Computer, einen Facebook-Zugang, den Namen der anvisierten Person oder eine Kontaktperson und klicke auf „Freundschaftsanfrage versenden“. Vorheriges Googeln des Zielobjekts gehört zum mittlerweile gesellschaftsfähig gewordenen Stalking. Der ganze Vorgang benötigt nicht mehr als 3 bis 5 Minuten – wie effektiv, vor dem Hintergrund, dass dabei vielleicht etwas fürs ganze Leben heraus springt! Falls nicht, kein Grund zur schlechten Laune: Der Einsatz war nicht hoch und das Risiko der Selbstoffenbarung strebt gegen Null. Schließlich kann das Versenden einer Freundschaftsanfrage auch ziemlich unverbindlich gemeint sein. Woher soll der Angefragte (früher „Angebeteter“) wissen, ob seine Person im Zentrum des Interesses steht oder nur das „Freunde-Barometer“ nach oben gepimpt werden sollte?

Ist der Vorgang erfolgreich für den Anfragenden, wird die Freundschaftsanfrage von der anderen Seite bestätigt. „Hinzufügen“ ist das neue Anbandeln.

Wo früher persönliche Informationen bei einem ersten Treffen vis a vis ausgetauscht wurden, kann man jetzt umfassend auf dem virtuellen Profil des anderen surfen. Das Schöne dabei: Dieser Rechercheakt bleibt inkognito und kann beliebig ausgedehnt und wiederholt werden. Doch „what you see is what you get“ – das war einmal. Denn welche Identität hier vermittelt wird, hat wahrscheinlich mehr mit Selbstdarstellung und diese wiederum mit sozialer Erwünschtheit zu tun als mit der nackten Wahrheit.

Ob diese in der Realität hält, was sie virtuell versprochen hat, wird jetzt zum großen Vabanque-Spiel: Zwei Menschen treffen sich nach gefühlten zwanzig Jahren Chat-Kommunikation, die Köpfe voll luftiger Idealvorstellungen vom anderen und kämpfen mit der Enttäuschung, die beim anderen möglicherweise schon eingetreten ist.

Ist dies früher oder später – gegebenenfalls auch nur auf einer Seite – der Fall, kann glücklicher Weise auch hier einer echten Auseinandersetzung mit dem anderen aus dem Weg gegangen werden. Zwei Klicks und die Person ist auf der Freundesliste entfernt. Dieser Vorgang ist in seiner einfachen Handhabung so überzeugend, dass er unter der Bezeichnung „abfreunden“ auch schon in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen ist.

Für alle, bei denen jedoch Gefühle für die angefreundete Person entstanden sein sollten und die diese nun mühsam wieder reduziert müssen, arbeitet facebook derzeit an dem Tool „entfügen“ (früher „entlieben“).

Johanna Marg

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