Identität und Selbstdarstellung

Woraus das "Selbst" eines Menschen besteht und wodurch es zusammengehalten wird ist eine ewige Frage der Philosophie. Wenn Menschen versuchen, es darzustellen, dient ihnen der Körper als naheliegendes Medium. Der Philosoph Merleau-Ponty beschreibt in seiner Wahrnehmungstheorie, dass der Mensch durch sein Fleisch mit der wahrnehmbaren Welt verbunden sei. Es trage die leibliche Existenz und nehme auf diese Weise eine vermittelnde Position ein. Zudem übernehme der Leib eine raumerschließende Funktion. Das Fleisch und der Leib eines Menschen bilden laut Merleau-Ponty also die Grundlage für jedes Wahrnehmen und Wahrgenommen werden. (Maurice Merleau-Ponty, „Das Auge und der Geist“, in: „Das Auge und der Geist“, 1961, S.301ff. ; Maurice Merleau-Ponty, „Das Primat der Wahrnehmung“, 1946, S.26-48)

Bei einer virtuellen Selbstdarstellung wird der Körper weitestgehend ersetzt. Er bleibt im Verborgenen und ist irrelevant für die Kommunikation. Doch wodurch wird die bisherige Grundlage von Kommunikation, die Gegenwärtigkeit mehrerer Körper in dem selben Raum im Internet ausgetauscht? Während bei einem Telefongespräch lediglich die Stimmen der Personen kommunizieren, wird in sozialen Netzwerken immer im Rahmen eines virtuellen Körpers gehandelt. Dieser wird vorab durch die Preisgebung verschiedener Informationen über die eigene Person erstellt. Die Neigung von Menschen, vage und allgemeingültige Aussagen über die eigene Person als zutreffende Beschreibung zu akzeptieren (Vergleiche: Barnum-Effekt) beschreibt nur einen kleinen Teil der Schwierigkeiten dieser Art der Selbstdarstellung. Es wird nie die Möglichkeit bestehen, ein reales Ebenbild der eigenen Person in einer virtuellen Welt zu verwirklichen. Der Versuch, diesem Ziel entgegenzustreben ist sinnlos. Vielmehr wird es in Zukunft um die manipulativen Möglichkeiten der Selbstdarstellung gehen. Doch welchen Gehalt haben all die Überlegungen zur Darstellung der eigenen Person und zur Wirkung anderer? Ich möchte mit Ausschnitten des Kapitels „Das Innere des Äusseren des Inneren“ aus dem Buch „Nachtzug nach Lissabon“ (Seite 96 ff.) des Philosophen und Autoren Peter Bieri (alias Pascal Mercier) schließen und weiter hinterfragen, inwieweit die Mühen zur Selbstdarstellung, in realer oder virtueller Welt, lohnenswert sind.

„Die Ferne zu den Anderen [...] wird noch einmal größer, wenn uns klar wird, daß unsere äußere Gestalt den Anderen nicht so erscheint wie den eigenen Augen. Menschen sieht man nicht wie Häuser, Bäume und Sterne. Man sieht sie in der Erwartung, ihnen auf bestimmte Weise begegnen zu können und sie dadurch zu einem Stück des eigenen Inneren zu machen.[...] Wir gelangen nicht einmal sicher und unvoreingenommen bis zu den äußeren Konturen eines Anderen. Unterwegs wird der Blick abgelenkt und getrübt von all den Wünschen und Phantasmen, die uns zu dem besonderen, unverwechselbaren Menschen machen, der wir sind. Selbst die Außenwelt einer Innenwelt ist noch ein Stück unserer Innenwelt, ganz zu schweigen von den Gedanken, die wir uns über die fremde Innenwelt machen und die so unsicher und ungefestigt sind, daß sie mehr über uns selbst als über den Anderen aussagen.[...] Es wird unvermeidlich ein Zerrbild sein, was sich der rauchende Fremde von meinem Spiegelbild macht, und sein Gedankenbild von meiner Gedankenwelt wird Zerrbild auf Zerrbild türmen. Und so sind wir uns doppelt fremd, denn zwischen uns steht nicht nur die trügerische Außenwelt, sondern auch das Trugbild, das von ihr in jeder Innenwelt entsteht.

[...] Sollten wir für den Schutz dankbar sein, den uns die Fremdheit voneinander gewährt? Und für die Freiheit, die sie uns möglich macht? Wie wäre es, wenn wir uns ungeschützt durch die doppelte Brechung, die der gedeutete Körper darstellt, gegenüberstünden? Wenn wir, weil nichts Trennendes und Verfälschendes zwischen uns stünde, gleichsam ineinanderstürzten?“


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