Second Life - Was ist Realität?

Da sitze ich neulich in der Kneipe und trinke mein Bier und mir gegenüber setzt sich ein Herr Mitte 30. Wir kommen langsam ins Gespräch und er erzählt mir, dass er Geschäftsmann sei. Marc vertreibt Dessous und erzählt, dass es ein sehr ertragreiches Geschäft sei. Haus, Auto und Urlaube in ferne Länder könne er sich leisten. Bis zu 1.000 Linden-Dollar könnte man für ein Dessous bekommen, das würde sich summieren. Linden Dollar? Ich wurde stutzig: Marc hieß eigentlich Heinz und war im realen Leben Hartz 4 Empfänger. Seine Realität projiziert er jedoch mittlerweile im Second Life.

Anekdoten wie diese hört man mittlerweile des Öfteren. Ob nun Jugendliche, die in computerbasierten Parallelwelten oder online Spielen wie WOW leben, oder Senioren, die sich ein Taschengeld hinzu verdienen. Das virtuelle Leben der unendlichen Möglichkeiten zieht viele in seinen Bann. Doch was ist eigentlich Second Life?

SL, wie Nutzer das System nennen, ist eine Online-3D-Infrastruktur, in der Menschen durch Avatare interagieren. Das System wurde von der Firma Linden Lab entwickelt, ist seit 2003 verfügbar und unterhält derzeit knapp 23 Millionen Benutzerkonten. Die Software ermöglicht dem User durch Werkzeuge eine eigenständige Gestaltung des Avatars und bietet durch Chaträume und ähnlichem die Kommunikation mit Gleichgesinnten. Der reale Umgang mit Personen und Einrichtungen wird so in eine virtuelle Welt online reproduziert. Die Avatare kommunizieren, handeln und spielen dabei wie im realen Leben miteinander. Des Weiteren können Personen oder Unternehmen virtuelle Dienstleistungen anbieten und Waren verkaufen. Das virtuelle Ich des Users kann seine Welt so nach individuellen Vorlieben einrichten und erweitern, aber auch kulturelle Institutionen, wie zum Beispiel ein Livekonzert, besuchen. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben in 2007 unter medialem Aufsehen ihre Gemäldegalerie Alte Meister als virtuelles Museum in SL veröffentlicht, welches man gegen ein Eintrittsgeld besuchen kann. Die Kulturvermittlung ist damit in ein neues digitales Zeitalter gestartet. Weithin wird Second Life auch für Spiele wie Ego-Shooter genutzt. Praktisch angewandt wird es in Unternehmen, die hier Online Meetings abhalten und so virtuell, aber durch die Avatare „persönlicher“ kommunizieren. Auch als E-Learning Plattform wird SL immer stärker genutzt.
Der Clou des Systems ist die Einbindung einer Währung in Form von Linden-Dollars, welche in Realwährungen transferiert werden kann. Dies ermöglicht das virtuelle Handeln im realen Wirtschaftskreislauf, so dass auch immer stärker Unternehmen ihre Produkte in SL anbieten und vertreiben. So vermarktete Adidas einen neuen Schuh zunächst exklusiv über Second Life und der Axel Springer vertrieb von 2006 bis 2008 die Zeitung AvaStar1. Doch auch Privatnutzer können durch Erstellung und Verkauf von Objekten Geld verdienen. Auch Dienstleistungen, wie als DJ auf Partys oder sexuelle Dienstleistungen, werden über das System vertrieben.

Und genau hier liegt eine große Gefahr und Schwachstelle von Second Life. Zwar wird von Linden Lab versucht, Jugendliche nur in begrenzte Räume zu zulassen, dennoch verfügen sie zumeist problemlosen zugriff zu pornografischem Material. Zudem sind Räume in SL entdeckt worden, in denen pädophile Nutzer virtuelle Kinder vergewaltigten. In den geschlossenen Chaträumen werden die perversen Neigungen vieler ohne die Möglichkeit der Überwachung ausgelebt. Die Möglichkeit durch SL dabei die Szenen so realitätsgetreu nach „zu spielen“ lässt viele Nutzer dann vergessen, dass es sich ein Spiel handelt. Zudem werden aggressive Handlungen in das reale Leben transportiert, da die Scham- und Verletzungsschwellen stark herabgesetzt werden.

Und wie am Anfang mit der Anekdote von Heinz beschrieben, führt die übermäßige Nutzung von Second Life bei immer mehr Leuten zu einem Realitätsverlust. Durch die Kreation eines virtuellen zweiten Lebens wird für viele Nutzer ihr reales Leben nebensächlich und lässt sich manchmal wohl auch vergessen, dass sie Teil einer realen Gesellschaft sind, die auf ihr Mitwirken angewiesen ist. Man wird letztendlich wohl kaum noch wissen, welche Welt nun wirklich real ist.

1 Kommentar:

  1. Lieber Schreiber, liebe Schreiberin.
    Abgesehen von dem Fehlen eines Wortes im folgenden Satz, halte ich ihn auch inhatlicht für stark problematisch:
    "Die Möglichkeit durch SL dabei die Szenen so realitätsgetreu nach „zu spielen“ lässt viele Nutzer dann vergessen, dass es sich ein Spiel handelt."
    Hast du belege für diese These? Wie macht sich der "Realitätsverlust", von dem du später sprichst, bemerkbar?
    "Man wird letztendlich wohl kaum noch wissen, welche Welt nun wirklich real ist."
    Du scheinst deinem Text einen Realitätsbegriff zu Grunde zu legen, den du leider nicht weiter ausführst. Dein letzter Satz klingt, als ob die SL-Spieler igendwann den Bildschirm mit einem nackten Gesäß verwechseln könnten.
    Dass SL Auswirkungen auf unser Leben fernab vom Bilschirm haben kann, lässt sich vermutlich nicht bestreitet. Aber die Frage ist, welche.

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